Die Baumpflege-Experten Martin Hüfner und Frank Christoph Hagen sprechen darüber, wie sich Baumpflege durch den Klimawandel verändert, warum klimaresistente Bäume nicht immer die beste Wahl sind und weshalb der Bundesverband Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau e. V. (BGL) für die Zukunft der Baumpflege an einer neuen Qualifizierung arbeitet.
Herr Hagen, Herr Hüfner, bis Ende Februar müssen größere Baumschnitt- und Fällarbeiten erledigt sein, weil die Vögel anfangen zu brüten. Was bedeutet das für Baumpflege-Betriebe?
Martin Hüfner: Anfang Januar sehen wir im Büro zu, dass wir alle Aufträge, die wir auf der Liste haben, in die Planung bringen und uns einen Überblick darüber verschaffen, wie viel Zeitpuffer wir bis Ende Februar haben. Das Stresslevel ist dann sehr hoch. Wir schauen bei jeder Anfrage: Wo bekommen wir die noch unter? Haben wir einen Job schneller erledigt als geplant und deshalb einen Tag Luft gewonnen?
Im Frühjahr starten die schönen Kletteraufträge
Und ab März wird es entspannter?
Martin Hüfner: Anfang März geht es los mit den Baumpflege-Arbeiten, die wir den ganzen Winter aufgeschoben haben, nach dem Motto: Das machen wir ab Anfang März. Dazu kommt im Frühjahr der Obstbaumschnitt. Wir sehen zu, dass wir den vor der Blüte schaffen. Zweimal im Jahr haben wir Pflanzarbeiten: im Frühjahr und im Herbst. Nach den Frühjahrs-Pflanzungen geht es dann mit der – ich nenne es mal angenehmen – Baumpflege weiter. Wenn es wirklich trocken ist und schon Laub in den Bäumen hängt, kommen die schönen Kletteraufträge.
Wetterperioden werden extremer
Stellen Sie fest, dass sich diese Jahresroutine durch den Klimawandel in den vergangenen 10 bis 15 Jahren verändert hat?
Martin Hüfner: Ja, das lässt sich beispielsweise an der Vogelbrut festmachen. Früher war der 15. März das Ende der Fällzeit. Jetzt ist es Ende Februar. Auch die Obstbäume blühen früher.
Frank Christoph Hagen: Man merkt, dass die Wetterperioden extremer werden. Wir haben hier im Norden entweder extremste Regenzeit, oder es ist wochenlang wirklich trocken. An den Bäumen stellen wir jetzt die Folgen der Trockenheit von 2018, 2019 und 2020 fest. Die Schäden sind immer noch sichtbar oder zeigen sich jetzt erst.
Klimafeste Bäume fördern nicht immer Artenvielfalt
Was ist die Lösung? Sollten in Zukunft nur noch Bäume gepflanzt werden, die mit Hitze und Trockenheit klarkommen?
Frank Christoph Hagen: Das ist ein ganz schwieriges Feld, finde ich. Denn klimaresistente Bäume sind nicht zwangsläufig auch unter dem Gesichtspunkt des Artenschutzes und der Artenvielfalt geeignet. Die Auswahl der Bäume, die sowohl die Artenvielfalt fördern und gleichzeitig trocken- und krankheitsresistent sind, ist sehr gering. Der nächste grundsätzliche Punkt: Ob ein Baum geeignet ist, zeigt sich erst in 30, 40, 50 Jahren. Dabei spielen nicht nur Trockenheit und Temperaturresistenz eine Rolle, sondern auch Aspekte wie Schnittverträglichkeit und der statische Aufbau des Baumes.
20 Jahre alte Straßen-Akazien brachen
Haben Sie dafür ein Beispiel?
Frank Christoph Hagen: Vor etwa 30 Jahren – zu der Zeit arbeitete ich bei Baumpflege Uwe Thomsen in Pinneberg – brachen in Hamburg zahlreiche Robinia „Monophylla“. Die Straßen-Akazie ist eine großblätterige Robinie, die veredelt wird. Die war zu der Zeit eine häufig gepflanzte Art, sie ist pflegeleicht und verträgt Hitze. Die Bäume sind in der Veredelungsstelle gebrochen, einfach abgeknickt.
Bäume sollten in der Stadt alt werden dürfen
Das waren 30-Zentimeter-Durchmesser-Bäume, die standen schon 20 Jahre. Kommunen erleiden einen massiven wirtschaftlichen und auch einen Image-Verlust, wenn solche Bäume vorsorglich gefällt werden müssen. Bäume haben eine lange Kulturzeit. Deshalb sollte es nicht nur um den Anwachs-Erfolg in den ersten Jahren gehen, sondern darum, dass Bäume in der Stadt alt werden dürfen, damit sie überhaupt ihre Klimaleistung und optische Funktion erbringen können.
Der Baum muss gut wurzeln können
Was ist dafür wichtig?
Martin Hüfner: Entscheidend ist, den Standort von Anfang an so vorzubereiten, dass der Baum langfristig entwicklungsfähig ist. Die Baumgrube sollte einen weitaus höheren Stellenwert haben als bisher. Wichtig sind die Größe der Baumgrube und das Substrat: Der Baum sollte es gut durchwurzeln können. Wenn wir also einen artgerechten Standort mit einem riesigen Wurzelraum schaffen, wird sicherlich auch der heimische, weniger resistente Baum an einem eher stressigen Standort vitaler wachsen.
Planer*innen müssen sensibilisiert werden
Frank Christoph Hagen: Nach Möglichkeit versuchen wir, Planende in den Kommunen darauf hinzuweisen, dass wir bei Pflanzungen der Baumgrube ein entsprechendes Gewicht geben müssen. Solche Prozesse dauern allerdings. Die Menschen müssen sich damit erst einmal beschäftigen. Zurzeit sind oft noch die Kosten der ausschlaggebende Faktor.
Vorsitz im BGL-Arbeitskreis Baumpflege
Herr Hagen, Sie sind Vorsitzender im BGL-Arbeitskreis Baumpflege, dem etwa 25 Betriebe angehören. Womit beschäftigen Sie sich zurzeit?
Frank Christoph Hagen: Auch Baumpflege-Betriebe merken natürlich den Fachkräftemangel. Deshalb arbeiten wir an einer neuen Qualifizierungsmöglichkeit auf nationaler Ebene – als Alternative zu den europäischen Zertifizierungen European Tree Worker und der nächsthöheren Stufe European Tree Technician.
Neue Qualifizierungsmöglichkeit schaffen
Es gibt bisher keine nationale Zertifizierung?
Frank Christoph Hagen: Es gibt die Qualifizierung Geprüfter Fachagrarwirt beziehungsweise Geprüfte Fachagrarwirtin Baumpflege – Bachelor Professional Baumpflege. Das ist sozusagen der Meister im Bereich Baumpflege. Bei dieser Qualifizierung wurde im vergangenen Jahr das Bildungsniveau angehoben, es geht viel um Mitarbeiter- und Betriebsführung. Und jetzt stellt sich heraus, dass der Fachagrarwirt für Betriebe, die Mitarbeitende auf nationaler Ebene qualifizieren wollen, neudeutsch gesagt, over the top ist. Er eignet sich eher für Betriebsleitung oder Geschäftsführung. Wir brauchen eine Qualifizierungs-Vorstufe zum Bachelor Professional. Zurzeit arbeiten wir im AK Baumpflege heraus, wie solch eine Qualifizierungsstufe gestaltet sein müsste. Dafür tauschen wir uns intensiv mit dem BGL-Ausschuss Berufsbildung und dem Bundesbildungsministerium aus. Das wird ein längerer Prozess.
Stadtgrün hat einen immer höheren Stellenwert
Wie sieht Ihrer Einschätzung nach die Zukunft der Baumpflege aus?
Frank Christoph Hagen: Ich glaube, dass die Baumpflege eine höhere Wertschätzung erhalten wird. Wir stellen fest, dass der Anspruch an den Erhalt von Bäumen in den vergangenen Jahren gestiegen ist. Das Thema Grün in der Stadt bekommt, gerade vor dem Hintergrund des Klimawandels, eine immer höhere Priorität.
Zur Person: Frank Hagen und Martin Hüfner
Frank Christoph Hagen ist Vorsitzender des BGL-Arbeitskreises Baumpflege, Martin Hüfner engagiert sich im FGL Schleswig-Holstein und in der Qualitätsgemeinschaft Baumpflege und Baumsanierung e.V (QBB). Hagen (Jahrgang 1965) und Hüfner (Jahrgang 1981) teilen sich die Geschäftsführung des Unternehmens Hagen Baumpflege. Nach seiner Ausbildung als Gärtner, Fachrichtung Baumschule, studierte Frank Christoph Hagen an der Fachhochschule Osnabrück Gartenbau und schloss als Diplom-Ingenieur ab. Er ist außerdem öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für das Fachgebiet Baumpflege, -sanierung und -bewertung. Martin Hüfner ist gelernter Landschaftsgärtner, geprüfter Betriebswirt im Handwerk und Fachagrarwirt für Baumpflege und Baumsanierung.
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Interview: Kirsten Lange
Fotos: Martin Rottenkolber