Nachhaltige Freiraumgestaltung braucht Wissen aus dem GaLaBau
Jan Dieterle ist Professor für Nachhaltige Freiraum- und Stadtgestaltung an der Frankfurt University of Applied Sciences. Im Interview spricht er darüber, was Freiraumgestaltung heute leisten sollte, warum soziale Gerechtigkeit für ihn dabei ganz oben steht und wie das Wissen aus dem GaLaBau die Kommunen unterstützen kann.
Herr Dieterle, was bedeutet nachhaltige Freiraumgestaltung für Sie?
Jan Dieterle: Bei der nachhaltigen Freiraumgestaltung geht es darum, bei der Gestaltung von Räumen in der Stadt ökologische und vor allem auch soziale Aspekte mit zu denken.
Welche Aspekte sind das konkret?
Jan Dieterle: Artenvielfalt, Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel sind wichtige Themen: Dazu gehören beispielsweise die intelligente Nutzung von Regenwasser oder der Schutz vor Hitze in den Städten.
„Wir sollten Räume so gestalten, dass die Menschen selbst entscheiden können, wie sie sie nutzen.“
Menschen sollten Fantasie entwickeln können
Doch es geht immer auch darum, Menschen Aktivitätsangebote zu machen. Deshalb sollten wir Räume so gestalten, dass die Menschen selbst entscheiden können, wie sie diese nutzen. Dass sie Fantasie entwickeln und sich den Raum auf vielfältige Weise aneignen. Nehmen wir eine Bank als Beispiel: Darauf lässt es sich meistens nur sitzen. Ich würde Aufenthaltsangebote jedoch gern weiter fassen und multifunktionaler denken: Sie sollten so gestaltet sein, dass die Menschen sie zum Sitzen, zum Liegen oder auch als Bühne nutzen können.
Bei Planungen für den Verkehrsraum zusammenarbeiten
Gemeint sind also Plätze mit Bäumen, Brunnen, kreativen Stadtmöbeln?
Jan Dieterle: Mir geht es nicht nur klassisch um Plätze oder Parks: Auch das Thema Straßenraum ist ganz wichtig. Das darf die Landschaftsarchitektur nicht ausschließlich der Verkehrsplanung überlassen, die das oftmals rein funktional angeht. Tagtäglich wird ganz viel Stadtraum umgebaut: Straßen werden für den Verkehr optimiert, sei es für den Rad- oder Autoverkehr. Jedoch spielt das Thema Freiraum für Menschen leider oft eine untergeordnete Rolle. Deshalb wäre es dringend nötig, auch bei Planungen für den Verkehrsraum interdisziplinär zusammenzuarbeiten: mit Verkehrsplaner*innen, Stadtplaner*innen, Landschaftsarchitekt*innen.
„Wir haben im GaLaBau bereits viele einfache Techniken, die gut funktionieren und die im Städtebau und bei der Freiraumgestaltung angewendet werden könnten.“
Bewährte GaLaBau-Techniken, die gut funktionieren
Sie befassen sich auch mit landschaftsorientiertem Städtebau. Was verstehen Sie darunter?
Jan Dieterle: Jede Stadt hat ihre Geschichte aus der Landschaft heraus: topografisch und von der Nutzung her gesehen, von der Kulturlandschaft bis hin zu den Baumaterialien. Es geht darum, den Städtebau wieder lokal und regional zu verorten, von der Bauform über Material und Stoffkreisläufe bis hin zur Struktur und Kultur der Stadt.
Die Kulturlandschaft einbeziehen, mit dem arbeiten, was da ist — das klingt nach: auf Tradition und bewährte Techniken zurückgreifen.
Jan Dieterle: Wir sollten uns öfter mal darauf besinnen, dass wir nicht immer eine hoch technologische Lösung brauchen. Und damit sind wir beim Garten- und Landschaftsbau: Dort verfügen wir bereits über viele einfache Techniken, die sich bewährt haben und im Städtebau und bei der Freiraumgestaltung angewendet werden könnten, beispielsweise für Baumgruben.
Wissen aus dem GaLaBau ist handfest und praktikabel
Also wäre es wichtig, dieses Wissen verstärkt in andere Disziplinen zu tragen, beispielsweise in den Tiefbau, wo die Regelwerke oft starr sind. Gerade im Straßenbau werden zum Teil hohe Standards gefahren, obwohl es meiner Meinung nach oft viel einfachere Lösungen gäbe. Das Wissen aus dem GaLaBau ist handfest und praktikabel. Stärker darauf zurückzugreifen, würde zudem Kosten sparen.
In welchen Bereichen würde das Wissen aus dem GaLaBau Kommunen helfen, Kosten zu sparen?
Jan Dieterle: Zum Beispiel beim Thema Stadtbäume. Die leisten enorm viel für uns, und damit sie das können, müssen sie standortangepasst und vor allem mit einem entsprechend großen Wurzelraum gepflanzt werden. Da könnten die Expertinnen und Experten noch wesentlich mehr Wissen einbringen und so zu funktionierenden Stadträumen beitragen.
Mehr Experimente wagen!
Das bezeichne ich gern als Low-Tech- und Low-Cost-Lösungen: Kommunen wollen ja kein großes Bewässerungssystem installieren müssen. Da helfen oft das richtige Substrat, die passende Baum-Auswahl und eine deutliche Vergrößerung des Wurzelraums, damit es den Bäumen auch in trockenen Sommern gut geht. Und damit sie unsere Städte kühlen. Für die Kommunen hieße das, dass sie viel mehr experimentieren und auch mal ein Scheitern in Kauf nehmen müssten. Doch sie hätten ja nichts zu verlieren, denn so, wie die Situation in vielen Kommunen zurzeit ist, vertrocknen die Bäume im Sommer schließlich.
Womit könnten Kommunen denn konkret experimentieren?
Jan Dieterle: Da gibt es beispielsweise das Stockholmer System: Seit 2004 experimentiert die Stockholmer Stadtverwaltung nun mit Pflanzgruben und entwickelt die Bauweisen weiter. Spezialistinnen und Spezialisten der Stadt hatten überlegt: Wie lässt sich der Wurzelraum für Bäume in der Stadt vergrößern? Bei uns in Deutschland kommen die Straßenbäume meistens in eng begrenzte Baumgruben. Das Stockholmer System sieht hingegen vor, dass auch Fahrbahnen auf einem Substrat aufgebaut werden können, in das die Bäume hineinwachsen. Das Substrat besteht vorwiegend aus großen Steinen, die Hohlräume werden mit einem speziellen Feinsubstrat aufgefüllt. Da ist Pflanzenkohle enthalten,als Nährstoff- und Wasserspeicher. Mittlerweile probieren auch deutsche Städte das System aus.
Wir müssen umdenken!
Das sollten Kommunen viel öfter machen: testen, experimentieren - und zwar gemeinsam mit den Menschen aus der Praxis. Dafür müssen sie nicht gleich eine ganze Straße ausschreiben. Es reichen auch erst einmal ein, zwei Baumgruben. Das Denken müsste sich verändern: von „Top down“ zu einem Miteinander für konkrete ortspezifische Lösungen.
Das heißt?
Jan Dieterle: Von: Die Kommune plant, schreibt aus, lässt bauen - hin zu: Verschiedene lokale Akteurinnen und Akteure, unter anderem aus dem GaLaBau, überlegen in einem schrittweisen Prozess, wie eine Kommune so etwas wie das Stockholmer System ausprobieren könnte, um daraus zu lernen und besser zu werden.
Soziale Gerechtigkeit steht über allem
Welches ist für Sie das wichtigste Zukunftsthema für die nachhaltige Freiraum- und Stadtgestaltung?
Jan Dieterle: Für mich steht soziale Gerechtigkeit erst einmal über allem. Darunter fällt dann auch der Aspekt Klimawandelanpassung. In Deutschland geht es oft um technische Lösungen. Atmende Räume in Häusern, kühle Plätze in der Stadt, das ist alles sehr wichtig. Gleichzeitig ist Anpassung an den Klimawandel aber auch ein menschliches Thema. Beispielsweise sterben Menschen ja oft nicht an der Hitze an sich, sondern daran, dass sie zu wenig trinken. Über Verhaltensänderungen ließe sich sehr viel erreichen. Deshalb müssen wir die Menschen informieren, sie mitnehmen bei der Anpassung an Extremwetter. Und wir müssen eben wirklich allen Menschen passende Freiräume in der Stadt bieten, Räume, in denen sie sich sicher und wohl fühlen.
GaLaBau als Berater
Welche Rolle kann der GaLaBau dabei übernehmen?
Jan Dieterle: Für den GaLaBau sehe ich hier vor allem eine beratende und unterstützende Funktion. Und die nehmen die Expert*innen ja auch bereits wahr: Sie beraten die zuständigen Fachleute in den Kommunen. Und sie unterstützen die Menschen dabei, sich Stadtraum anzueignen: Nämlich indem sie Flächen bei der Umsetzung der kommunalen Planung mit ihrem Wissen und ihren Ideen so gestalten, dass man sich dort gern aufhält.
Jan Dieterle: Kurzprofil
Jan Dieterle, Jahrgang 1967, ist seit Oktober 2022 Professor für Nachhaltige Freiraum- und Stadtgestaltung an der Frankfurt University of Applied Sciences. Zuvor war er unter anderem Professor für Landschaftsarchitektur an der Hochschule Geisenheim und kommissarischer Leiter des Instituts für Landschaftsplanung und Ökologie an der Universität Stuttgart. Nach dem Studium der Landschaftsarchitektur arbeitete er in einem Landschaftsarchitekturbüro. Zwischen 2013 und 2017 leitete er die Grün- und Freiraumplanung im Stadtplanungsamt Wiesbaden. Dieterles Professur ist interdisziplinär: Er lehrt unter anderem in den Studiengängen Stadtplanung, Architektur und Infrastrukturplanung. (Foto: Jan Dieterle)
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Autorin: Kirsten Lange