Alle Fotos: Institut für Landschaftsplanung und Ökologie (ILPÖ) der Universität Stuttgart
Viele Städte haben Grünfassaden in ihre Bebauungspläne aufgenommen. Dabei wird jedoch das Potenzial der Biodiversitätsförderung selten ausgeschöpft. Jetzt präsentiert das Institut für Landschaftsplanung und Ökologie (ILPÖ) der Universität Stuttgart die Ergebnisse erster Forschungsprojekte zum Thema. Landschaftsarchitektin Eva Bender hat sie wissenschaftlich begleitet und erläutert, was sich davon einfach in der Praxis umsetzen lässt.
Frau Bender, was unterscheidet die beiden Grünfassaden am Fraunhofer Campus in Stuttgart-Vaihingen von herkömmlichen Grünfassadensystemen?
Eva Bender: Die BioDiv-Fassade und die Wilde Klimawand zielen beide darauf ab, biodiversitätsfördernde Grünfassaden für den verdichteten, innerstädtischen Raum zu entwickeln. Tatsächlich gibt es bereits viel allgemeines Know-how zu Grünfassaden. Deren klimatische Vorteile sind gut erforscht, nicht aber ihr biodiversitätsförderndes Potenzial. Deshalb wird es in der Praxis kaum umgesetzt.
Vertikalgrün: Strukturreichtum für mögliche Lebensräume mitdenken!
Die meisten Grünfassaden bestehen aus artenarmen Bepflanzungen mit maximal zehn verschiedenen Pflanzenarten. Als Landschaftsarchitektin weiß ich, dass man oft ein bestimmtes Bild generieren möchte und die Pflanzen danach auswählt. In der Vertikalen sind das in der Regel immergrüne Pflanzen.
Die Ästhetik spielt also eine untergeordnete Rolle bei den beiden Forschungswänden?
Eva Bender: Biodiversitätsfördernde Grünfassaden erzeugen durch Strukturvielfalt und diverse Bepflanzung dynamische Pflanzenbilder. Jede Jahreszeit hat ihren eigenen ökologischen Nutzen, aber auch ihre eigene Ästhetik. Zuallererst haben wir geschaut, welchen Mehrwert bestimmte Pflanzen explizit für Wildbienen, Vögel und Fledermäuse haben. Aus diesem Grund haben wir viele unterschiedliche Wildstauden in unsere Wände gepflanzt, die mit ihrem hohen Pollen- und Nektargehalt und einem breiten Blühspektrum von März bis in den Spätherbst Wildbienen anlocken. Zudem haben wir Pflanzen integriert, die in den Abendstunden stark duften und Nachtfalter und damit auch Fledermäuse anziehen. Vögel wiederum brauchen Strukturreichtum, und die von uns in den Grünwänden verwendeten Sträucher bringen sowohl Blüten als auch nahrhafte Beeren hervor. Insgesamt haben wir mehr als 70 verschiedene Pflanzenarten in der Wand. Dazu kommt die Spontanvegetation, sie integriert sich gut in die Wildheit. 90 Prozent der von uns verwendeten Pflanzen wurden bislang noch nie in der Vertikalen ausgetestet.
Die beiden Forschungsprojekte
1. Entwicklung eines Grünfassadensystems zur Förderung der Biodiversität als Teil der urbanen grünen Infrastruktur (BioDivFassade)
- ca. 40 m² wandgebundene sowie ca. 100 m² troggebundene Fassadenbegrünung (Boden- und Balkontröge)
- integrierte Habitate für Wildbienen
- Laufzeit 04/2022 bis 03/2025
- gefördert durch das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL)
2. Die Wilde Klimawand
- ca. 80 m² wandgebundene Fassadenbegrünung
- integrierte Habitate für Wildbienen, Vögel und Fledermäuse
- Laufzeit 10/2022 bis 10/2024
- gefördert durch den Klima-Innovationsfonds der Landeshauptstadt Stuttgart sowie The Nature Conservancy Europe (TNC)
- Sonderpreis Biodiversität und Publikumspreis bei der Sustainability Challenge 2024 der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB)
Interdisziplinäre Forschungsteams: Institut für Akustik und Bauphysik sowie Institut für Landschaftsplanung und Ökologie der Universität Stuttgart, Fraunhofer-Institut für Bauphysik und Helix Pflanzensysteme GmbH
Sie haben die Entwicklung der beiden Forschungswände genau beobachtet und dokumentiert. Worauf sollten GaLaBau-Unternehmen bei der Planung und Umsetzung achten?
Eva Bender: Bei einem Neubau etwa muss die Wasserversorgung von Anfang an mitgedacht werden, beispielsweise in Form einer Zisterne. Denn komplexe Grünfassaden funktionieren nur mit einem Bewässerungssystem, das idealerweise mit Regenwasser gespeist wird. Natürlich müssen – wie bei jeder Pflanzplanung – auch Standort und Ausrichtung berücksichtigt werden, gerade mit Blick auf die gewünschten Habitate.
Biodiversitätswände zeigen den Wechsel der Jahreszeiten
Zugleich will man den Wandel der Jahreszeiten zulassen und das Biodiversitätspotenzial der Pflanzen ausschöpfen. Denn Samenstände und abgestorbenes Pflanzenmaterial bieten Vögeln und Insekten im Winter Lebensraum und Nahrung. Neben dem Fokus auf einheimischen Arten ist es wichtig, die Bepflanzung gut zu durchmischen: Stauden, Halbsträucher, Sträucher und Gräser bilden zusammen diverse Tiefen- und Lebensraumstrukturen. Darüber hinaus ist die Pflege unabdingbar, um die Diversität zu erhalten. Hier ist die Expertise von GaLaBau-Betrieben gefragt.
Auch wenn die Auswertungen noch andauern: Wie lautet Ihr bisheriges Fazit?
Eva Bender: Insgesamt sind die erforschten Biodiversitätswände in vielen Städten anwendbar, wo aufgrund hoher Verdichtung das Begrünungspotenzial in der Vertikalen längst nicht ausgeschöpft ist. Interessant war auch eine kleine Umfrage zur Akzeptanz solcher Wände. Dabei teilten wir die rund 200 Teilnehmer*innen in zwei Gruppen: Die eine hatte unsere Forschungswände zuvor gesehen und Vorträge zu deren Mehrwert gehört. Die andere Gruppe hatte vorab keinerlei Berührung damit. Bei dieser Gruppe überwog die Skepsis, insbesondere in Bezug auf Mäuse oder Spinnen, die in den Wänden leben könnten. Dagegen war die Akzeptanz bei der ersten Gruppe deutlich größer. Es ist wichtig, die Menschen bei solchen Vorhaben gut mitzunehmen. Ein Besucher brachte das einmal schön auf den Punkt: „Diese Wände sind in sich sehr wild. Aber sie haben einen Rahmen, in dem diese Wildnis stattfinden kann.“
Zur Person:
Eva Bender hat nach ihrem Studium der Landschaftsarchitektur an der Universität Kassel in Planungsbüros im In- und Ausland gearbeitet. Als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Landschaftsplanung und Ökologie (ILPÖ) der Universität Stuttgart hat sie zuletzt zwei Forschungsprojekte zu innovativen Grünfassadensystemen (Wilde Klimawand und BioDivFassade) betreut und dabei den „Leitfaden für biodiversitätsfördernde Fassadenbegrünung - Wilde Klimawände für Stuttgart“ erstellt. Seit April 2025 ist sie bei der Helix Pflanzensysteme GmbH tätig.
Foto: Privat
Autorin: Conny Frühauf