Klimaangepasstes Bauen als Chance für den Garten- und Landschaftsbau

Die Universität Stuttgart und das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) haben eine Broschüre zur Zukunft des Bauens in Zeiten der Klimakrise veröffentlicht: Wie können Gebäude und Liegenschaften fit gemacht werden gegen Hitze, Starkregen oder Hagel? Bauphysikerin Pia Krause ist eine der Autor*innen. Sie spricht über die Bedeutung von Grünflächen beim klimaangepassten Bauen und über die wichtige Rolle des Garten- und Landschaftsbaus.

Aus Forschungsergebnissen zum klimaangepassten Bauen haben Sie Praxisempfehlungen für Planende, für Architekt*innen sowie Eigentümer*innen entwickelt. Warum?

Pia Krause: Weil es notwendig ist. Wir wollen deutlich machen, was für unglaubliche Potenziale klimaangepasstes Bauen hat. Das Bauwesen spielt in der Klimadebatte eine Sonderrolle. Zum einen verursacht es klimatische Veränderungen durch den enormen Ressourcenverbrauch beim Bau, aber vor allem auch bei der Nutzung von Gebäuden. Auf der anderen Seite sind die Bauwerke und damit auch die Menschen, die sie nutzen, selbst von Wetterextremen wie Hitze oder Starkregen betroffen. Das heißt, der Bedarf einer Transformation des Bauwesens ist besonders hoch - aber gleichzeitig gibt es auch viele Hebel für solch eine Transformation. Unsere Empfehlungen zeigen unter anderem, welche Chancen in grüner und blauer Infrastruktur stecken, also in Grün- und Wasserflächen. Deren Möglichkeiten sind noch lange nicht ausgeschöpft, und sie können zudem einen großen Gewinn an Lebensqualität bedeuten.

In einem weiteren Forschungsprojekt mit Projektpartnerin Helix Pflanzen GmbH hat das Institut für Akustik und Bauphysik auf dem Campus Vaihingen eine innovative Grünfassade erstellt. Pia Krause und ihre Kolleginnen und Kollegen untersuchen, wie sich die Grünfassade auf die Pflanzen- und Tiervielfalt sowie auf Menschen und Mikroklima auswirkt. Ziel des Projekts ist es, den Bau nachhaltiger Grünfassaden zu fördern.
Fotos: Pia Krause/IABP

„Wir wollen deutlich machen, was für unglaubliche Potenziale es im Bereich klimaangepasstes Bauen gibt.“

Die Broschüre  baut auf den Ergebnissen des Forschungsprojekts „KLIBAU – Weiterentwicklung und Konkretisierung des Klimaangepassten Bauens “ von 2020 und weiteren Ergebnissen Ihrer Forschung auf. Wie haben Sie die Theorie für die Praxis aufbereitet?

Pia Krause: Die Broschüre besteht aus zwei Hauptteilen. Teil eins befasst sich mit der Bedeutung und den Auswirkungen der Klimakrise auf das Bauwesen. Teil zwei dient Planenden, Architekt*innen, Eigentümer*innen als Planungs- und Entscheidungshilfe. Anhand einer Muster-Liegenschaft werden Anpassungsmaßnahmen erläutert. Was uns dabei sehr wichtig war: Für den zweiten Teil haben wir zunächst Anpassungsmaßnahmen im Außenraum betrachtet, also beispielsweise in Grünflächen und Gärten. Darauf aufbauend beschreiben wir konkrete Maßnahmen für die Gebäudehülle, das Gebäude und den Innenraum. Gebäude und Außenanlagen, Architektur und Landschaftsarchitektur, Mikroklima und Raumklima sind immer zusammen zu denken – und zwar möglichst früh im Planungsprozess.

Außenraum und Innenraum muss zusammen gedacht werden

Warum ist es wichtig, Außenraum und Innenraum zusammen zu denken?

Pia Krause: Die Gestaltung des Außenraums wirkt sich immer auch auf den Innenraum aus. In der Bauphysik haben wir lange Zeit den Fokus auf die Gebäudehülle und den Innenraum gelegt. Doch eine bauliche Anpassung an den Klimawandel fängt nicht erst mit dem Gebäude an. Die Einbeziehung grüner und blauer Infrastrukturen ist enorm wichtig. Allein schon das Pflanzen eines Laubbaums wie der Winterlinde stellt viel Potenzial bereit: Anpassung an die Hitze, Schutz vor Starkregen, die Boden-Regulation, Wasser-Regulation. Wir als Bauphysikalisches Institut schauen: Wie können diese Maßnahmen weiter mit dem Innenraum verknüpft werden? Wie kann beispielsweise das Raumklima verbessert werden – durch eine bewusste Integration von Grünstrukturen und Gebäudehülle, durch Gründächer oder begrünte Fassaden?

„Eine bauliche Anpassung an den Klimawandel kann nicht erst mit der Gebäudehülle oder mit dem Gebäude anfangen. Die integrale Planung grüner und blauer Infrastrukturen ist enorm wichtig.“

In der Grünwand haben sich im Frühling und Sommer zahlreiche Insekten und auch Vögel eingenistet.
Fotos: Pia Krause/IABP

Was muss als erstes passieren, um die Auswirkungen der Klimakrise wie Hitze, Dürre oder Starkregen abzumildern?

Pia Krause: Wir müssen Bewusstsein schaffen sowie Wissen vermitteln und konkret umsetzen. Je nach Region, Standort und Exposition wird die Verletzbarkeit eines Grundstücks unterschiedlich bewertet. Hier in der Stuttgarter Tallage haben wir zum Beispiel Probleme mit starker Überhitzung in den Sommermonaten. Befindet sich die Liegenschaft in der Nähe eines Flussufers mit Hochwasserrisiko, sind natürlich erst mal Anpassungsmaßnahmen an Überschwemmungen vonnöten. Egal ob Hitze oder Starkregen, in beiden Fällen gilt: Wichtig ist die Transformation von städtischen Oberflächen im Außenraum. Das bedeutet unter anderem: Oberflächen entsiegeln. Und bei Regen das Wasser vom Gebäude wegleiten, hin zu den grünen Infrastrukturen. Durch die Beschaffenheit und die Art des Bodens soll das Wasser möglichst gespeichert und nicht in die Kanalisation geleitet werden.

Schnelles Handeln ist gefragt: Je früher, desto besser

Hitze, Dürre und Starkregen sind längst Realität und nehmen zu. Wie wichtig ist also schnelles Handeln?

Pia Krause: Grundsätzlich gilt, je früher, desto besser. Allerdings wirkt jede bauliche Klimaanpassung unterschiedlich schnell. Wenn Eigentümer oder Eigentümerinnen ihr Gebäude dämmen, merken sie das unmittelbar anhand der Energiekosten-Abrechnung. Bei Grünstrukturen sieht es ein bisschen anders aus, die brauchen Zeit zu wachsen und entfalten ihr Potenzial nach mehreren Vegetationsperioden. Als Schwierigkeit kommt hinzu, dass Bäume und allgemein Grünstrukturen selbst vom Klimawandel betroffen sind. Gerade in Städten, wo wir sie zwingend brauchen, sind sie besonders anfällig. Die verdichteten Böden, das Streusalz, zu wenig Platz für die Wurzeln: Das stresst die Bäume und kann dazu führen, dass Neupflanzungen nicht weiter wachsen. Damit sind wir wieder beim Thema Boden- und Wassermanagement. Hier ist es enorm wichtig, gemeinschaftlich zu planen.

Welche Akteure und Akteurinnen müssen dabei zusammenarbeiten?

Pia Krause: Gefragt sind vor allem die Fachplanenden, also alle, die die Grundlage für die Gestaltung von Gebäuden und Außenraum geben. In der Kommunalverwaltung sind das unter anderem das Tiefbauamt, das Grünflächenamt und das Stadtplanungsamt. Fachplanende haben die Aufgabe, das Grundstück zu analysieren, die Gefahren und Verletzbarkeit in Bezug auf Wetterextreme zu erkennen und für dieses Grundstück entsprechende Maßnahmen zu planen und umzusetzen - zusammen mit den Investoren, mit den privaten oder öffentlichen Bauherren, mit den Eigentümerinnen und Eigentümern. Dabei sollten die Fachplanenden zudem Aufklärungsarbeit leisten und erklären, warum welche Maßnahme wichtig ist und wie sie wirkt. Beim klimaangepassten Bauen können anfänglich durchaus mehr Kosten entstehen. Umso wichtiger ist es darzulegen, was die Vorteile dieser Maßnahme sind. Auch dabei soll unsere Broschüre unterstützen.

Bauphysikerin Pia Krause

Pia Krause (Jahrgang 1988) forscht am Institut für Akustik und Bauphysik der Universität Stuttgart zum klimagerechten Bauen. Sie beschäftigt sich unter anderem damit, wie Bäume, Grünfassaden oder Gründächer Gebäude vor Schäden durch Extremwetter schützen und für ein gutes Innenraum-Klima sorgen. Ihre Doktorarbeit schreibt sie über die bauphysikalische Wirkung von Hausbäumen: Darin untersucht sie, welchen positiven Einfluss Bäume vor der Hausfassade auf ein Gebäude haben können.

Foto: Linda Meier

Mit „Fachplanende“ meinen Sie auch die Fachleute aus dem Garten- und Landschaftsbau?

Pia Krause: Ja, ihr Wissen wird zunehmend wichtiger. Grüne Infrastruktur ist lebendig: Sie ändert ihre Funktion mit den Jahreszeiten, reagiert bei langanhaltender Hitze mit Stress. Gefahren für grüne Strukturen müssen erkannt und es muss gegensteuert werden, durch vorausschauende Planung und eine fachkundige Pflege vor Ort. Ein wichtiges Ziel der Bauphysik ist dauerhafte Schadensfreiheit der Bauwerke. Das gilt auch für grüne Infrastruktur. Die Anforderungen an die GaLaBau-Unternehmen werden zunehmen: im Vorgespräch mit den Kundinnen und Kunden, in der Planung und Umsetzung und in der Pflege der Flächen.

Die Bedeutung des Privatgartens

Dass öffentliche Parks und Wälder gut für Klima und Artenvielfalt sind, ist eindeutig. Wie wichtig sind private Gärten?

Pia Krause: Auch private Eigentümerinnen und Eigentümer können etwas tun: Sie können ihr Grundstück kritisch begutachten und überlegen, welche Potenziale sie damit noch erschließen können. Das muss nicht der große Garten sein, gerade Vorgärten und Kleingärten haben in Summe bedeutende Ausgleichsfunktionen bei Hitze und Starkregen. Außerdem sind sie wichtig für die Artenvielfalt – wenn sie entsprechend multifunktional gestaltet sind. Stein- und Schottergärten haben zum Beispiel nahezu keine Funktionalität in Bezug auf Klimaanpassung und Biodiversität. Dabei haben Flächen im Außenraum immer auch eine gesamtgesellschaftliche Bedeutung und Wirkung.

Was sollten Gartenbau-Expertinnen und -Experten in diesem Fall also raten?

Pia Krause: Ich sehe es als Aufgabe der Fachleute, Menschen auf die Wirkung und die wichtige Funktion von Gärten hinzuweisen und das Verständnis dafür zu fördern. Steingärten sind übrigens gar nicht so pflegearm. Es wächst immer wieder Spontanvegetation, die dann als sogenanntes Unkraut mühselig gezupft wird. Warum nicht gleich eine Wiese pflanzen, die Spontanvegetation stehen lassen und ins Gesamtkonzept integrieren? Zumal sie meistens sehr gut an den Standort angepasst ist: Distel oder Schafgarbe wachsen auch an sehr trockenen Standorten und sorgen für Artenvielfalt.

Das Grüne Zimmer Ludwigsburg: Auf dem Rathausplatz hat die Helixpflanzensysteme GmbH einen grünen Aufenthaltsraum errichtet. Die Pflanzen spenden Schatten und sorgen für Abkühlung.
Foto: Pia Krause/IABP

Schon ein einzelner Vorgarten kann also die Folgen der Klimakrise abmildern?

Pia Krause: Auch ein kleiner Vorgarten leistet einen kleinen Beitrag. Aber wenn wir ganz viele kleine grüne und heterogene Strukturen in der Stadt haben, erreichen wir natürlich mehr: Vorgärten, begrünte öffentliche oder private Dächer, Grünfassaden. Die entfalten zusammen eine sehr wichtige klimatische Bedeutung und fördern die Biodiversität – als sogenannte Trittsteine für die Natur und zur Vernetzung von Lebensräumen.

Positivbeispiele und Leuchtturmprojekte

Wie lassen sich Verantwortliche am besten davon überzeugen, dass Grünstrukturen für die Zukunft des Bauens unverzichtbar sind?

Pia Krause: Ganz viel erreichen lässt sich durch nachahmenswerte Positivbeispiele und gern auch Leuchtturmprojekte. Dann erleben und erfühlen die Menschen vor Ort, was beispielsweise eine Anpassung an  Hitze durch grüne Strukturen bedeutet – auch für sie persönlich. Bei einem weiteren Forschungsprojekt der Universität Stuttgart zusammen mit der HELIX Pflanzensysteme GmbH werden zum Beispiel die mikroklimatischen und biodiversitätsfördernden Wirkpotenziale unterschiedlicher Grünstrukturen untersucht, wie bei dem Grünen Zimmer Ludwigsburg . Auf dem Rathausplatz hat Helix einen Aufenthaltsraum mit grünen Wänden aus vielen Tausend Pflanzen errichtet und übernimmt gleichzeitig die Pflege. Die Grünwände spenden Schatten auf dem stark besonnten Platz. Man merkt, der Raum ist wirklich beliebt: Viele Menschen verbringen dort beispielsweise ihre Mittagspause. Und zudem nutzen unterschiedlichste Insektenarten die grüne Infrastruktur als Nahrungsangebot. Auch ästhetische Aspekte spielen eine Rolle: Es sieht toll aus, wie dieser Grün-Raum gestaltet ist. Solche Bauprojekte sind nicht nur Anpassungsmaßnahmen: Die Menschen verbinden Lebensqualität damit.

Die Broschüre „Klimaangepasste Gebäude und Liegenschaften“

Die im Mai 2022 erschienene Broschüre will über die Folgen und die Entstehung des menschengemachten Klimawandels aufklären. Außerdem liefert sie Entscheidungshilfen und Lösungsvorschläge für eine klimaangepasste Architektur. Für die Broschüre arbeiteten das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) in Bonn und das Institut für Akustik und Bauphysik der Universität Stuttgart zusammen. Die Autorinnen und Autoren nahmen als Ausgangspunkt die Ergebnisse des Forschungsprojekts „KLIBAU – Weiterentwicklung und Konkretisierung des Klimaangepassten Bauens“, das von 2018 bis 2020 im Auftrag des BBSR durchgeführt wurde. Angereichert durch die eigene Forschung entwickelten sie die Ergebnisse weiter, konkretisierten sie und stellten sie anschaulich dar. Gefördert wurde die Broschüre mit Geld aus dem Forschungsprogramm „Zukunft Bau“ vom Bundesbauministerium.

Das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung

Das BBSR berät die Politik zu Themen im Bereich Bauen, Wohnen und Stadt- und Raumentwicklung. Außerdem entwickelt es Leitfäden und Empfehlungen, um Wissen aus der Forschung in die Praxis zu überführen. Gute Beispiele für klimaangepasstes Bauen wolle das BBSR künftig besser sichtbar machen, unter anderem Projekte für gutes Starkregen-Management oder vorbildliche Gebäudebegrünung, erzählt Svenja Binz vom BBSR. Sie hat die Erstellung der Broschüre wissenschaftlich begleitet. „Der Garten- und Landschaftsbau spielt beim klimaangepassten Bauen eine ganz wichtige Rolle - unter anderem für Schutz und Vorsorge am Gebäude“, betont Binz: So bewahrten eine gute Gelände-Modellierung und passende Überflutungskonzepte das Gebäude vor hohen Schäden. Hitzeresistente Bepflanzungen und Bäume schützten den Innenraum vor Überhitzung. Und auch für das Gesamtsystem Kommune leisteten gut geplante Außenräume einen wichtigen Beitrag, sagt Svenja Binz. „Zum Beispiel, wenn durch das Zurückhalten und Verdunsten von Regenwasser das kommunale Abwassersystem entlastet wird. Oder wenn Gebäudebegrünung das Mikroklima verbessert.“

Foto: Privat

Autorin: Kirsten Lange

Carsten Peters2023-04-24T10:49:22+02:00
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