Fassadenbegrünung: „Mit jedem grünen Gebäude steigt die Nachfrage weiter“
Grüne Pflanzenwände verbessern das Stadtklima, kühlen Gebäude im Sommer, dämmen im Winter. Gleichzeitig fördern sie die Biodiversität. Das Freiburger Unternehmen flor-design ist seit Jahren auf Fassadenbegrünung spezialisiert. Damit besetzte es lange eine exotische Nische. Inzwischen erhält der Betrieb jedoch täglich neue Anfragen. Warum sich deutschlandweit immer mehr Planungsbüros, Wohnbaugesellschaften, Kommunen und Privatleute für grüne Wände interessieren, erläutert Inhaber Klaus Wegenast im Interview.
Interview mit Klaus Wegenast, Inhaber und Geschäftsführer flor-design und Spezialist für Dach- und Fassadenbegrünung
Herr Wegenast, Ihr Betrieb hat sich schon früh auf Vertikalbegrünung spezialisiert. Wie ist die Idee dazu entstanden?
Klaus Wegenast: Wir sind 1992 als klassischer Garten- und Landschaftsbaubetrieb gestartet. Bei der Gartenplanung sollten wir oft Sichtschutzwände zwischen Terrassen einrichten. Allerdings waren wir es bald leid, die üblichen Elemente aus Holz, Stahl oder Beton zu verwenden. Als leidenschaftlicher Gärtner möchte ich mit Pflanzen gestalten. Also haben wir damit begonnen, freistehende begrünte Wände zu entwerfen und versuchsweise umzusetzen. Das war 2010.
Von der kleinen grünen Terrassentrennwand bis zur großflächigen Fassadenbegrünung des Green City Towers in Freiburg, die sie zuletzt umgesetzt haben, ist es ein ziemlicher Sprung. Wie hat sich das entwickelt?
Klaus Wegenast: Anfangs dachten wir, wir halbieren einfach die freistehende Wand und montieren das an die Fassade. Doch dann stellten wir fest: Bei der Fassadenbegrünung kommen zwingend weitere Themen hinzu – vor allem Statik, Brandschutz, Dämmung und Wasser. Damit mussten wir uns erst einmal auseinandersetzen.
1994 haben wir bereits die Dachbegrünung in unser Portfolio aufgenommen. Von der Ausbildung her war ich kein Spezialist für Dach- oder Fassadenbegrünung, mittlerweile würde ich mich aber unbedingt als solchen bezeichnen. Damals hatten wir persönliche Kontakte zu Dachdecker-Betrieben, mit denen wir zusammenarbeiten konnten. So bin ich in die Materie hineingewachsen. Inzwischen begrünen wir pro Jahr rund 200.000 Quadratmeter Dachflächen. Etwa die Hälfte unserer 130 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeitet in diesem Bereich.
Fassadenbegrünung: Statik, Brandschutz und Bewässerung mitdenken
Klassische, erdgebundene Fassadenbegrünungen haben wir von Beginn an gebaut. Die wandgebundene Fassadenbegrünung ist als weitere Spezialisierung vor etwa acht Jahren hinzugekommen. Hier ist der Sicherheitsaspekt bei der Umsetzung zentral. Den Green City Tower in Freiburg sollten wir nachträglich begrünen. Wenn da aus 52 Metern Höhe etwas herunterfällt, ist das lebensgefährlich. Statiker haben uns vorab genaue Berechnungen zum Windsog und -druck geliefert. Daraufhin haben wir spezielle Systeme entwickelt, die Stabilität auch bei größer gewachsenen Pflanzen oder Unwettern garantieren.
Vertikale Gärten im urbanen Raum gelten in der Fachwelt als wirksames Instrument im Kampf gegen Überhitzung, Belastung durch Feinstaub, Lärm und schwindende Artenvielfalt. Gibt es Leuchtturmprojekte, die Sie inspiriert haben?
Klaus Wegenast: Der Ursprung dieser Art von Fassadenbegrünung stammt aus Paris. Dort hat Patrick Blanc die Grundidee dazu entwickelt und weltweit Projekte umgesetzt. Dabei hat er sich viel von der Natur abgeschaut. Mit der von ihm eingesetzten Vlies-Technik war er Vorreiter der Bewegung. Damit die darin wurzelnden Pflanzen grün bleiben, werden diese Vliese permanent feucht gehalten.
Ich teile den Ansatz zur Green City und möchte auch so viele Flächen wie möglich begrünen, jedoch unterscheiden wir uns in der Art der Ausgestaltung: Unser Ansatz ist ganzheitlicher. Zunächst beginnen wir mit einem 10 bis 12 Zentimeter starken Substratkörper, dies kann aber auch bis zu einer Substratstärke von 50 bis 60 Zentimeter gehen. Das Substrat ist ein kleiner Kosmos mit unzähligen Kleinstlebewesen. Hier wachsen Pflanzen viel gesünder und stärker. Da können ganze Sträucher und Gehölze an einer Fassade wachsen.
Patrick Blanc – Vorreiter der grünen Wände
Der 1953 in Paris geborene Botaniker und Gartenarchitekt hat die grünen Pflanzenwände international bekannt gemacht. Die Erfindung dieser Wände reicht ins Jahr 1938 zurück. Damals hat Stanley Hart White, Professor für Landschaftsarchitektur an der University of Illinois, ein Wandbegrünungsverfahren zum Patent angemeldet. Blanc hat es modernisiert und erweitert. Berühmt wurde er mit der grünen Wand des Musée du Quai Branly in Paris. Inspiriert von den Regenwäldern in Malaysia rieselt hier Wasser durch rund 15.000 Pflanzen. 2015 entwarf Blanc in Kuala Lumpur (Malaysia) die Fassadenbegrünung für das bislang höchste Hochhaus mit vertikalen Gärten.
Arbeiten in Deutschland: der 18 Meter hohe Vertikalgarten im KulturKaufhaus Dussmann, Berlin, mit über 6000 tropischen Pflanzen.
Internationale Patente
2014 haben Sie ein eigenes Begrünungssystem entwickelt, die freistehenden greencityWALLs. Sie wollen sich damit nicht nur in Deutschland, sondern auch international positionieren. Wie gehen Sie vor?
Klaus Wegenast: Wir haben durch jahrelange Forschung, Entwicklung und Praxiserfahrung verschiedene Bauweisen für Fassadenbegrünungen entwickelt. Darauf sind europa- und teilweise auch weltweit acht Patente angemeldet. Im Moment entwickeln wir Vertriebswege und suchen länderübergreifend Partnerschaften im Garten- und Landschaftsbau. Bislang konnten wir in Deutschland etwa 20 Betriebe dafür begeistern. Das ist sicher ausbaufähig, denn das Thema hat in den vergangenen Jahren enorm an Fahrt gewonnen.
Öffentliche Wände steigern die Nachfrage
Als wir 2020 eine größere Vertikalwand an einer Straße errichtet haben, stieg die regionale Nachfrage stark an. Inzwischen haben wir Aufträge in München, Nürnberg, Frankfurt oder Stuttgart. Alles große Projekte im Bereich Indoor, Outdoor, vor allem im öffentlichen Sektor. Anfragen kommen von Kommunen, Investorinnen und Investoren oder Wohnbaugesellschaften. Davon ein kleiner Teil sind private Aufträge. Je mehr vertikale Wände öffentlich sichtbar werden, umso stärker wird sich der Trend fortsetzen. Denn alle können sehen, dass es funktioniert.
Nachhaltiger Umgang mit Wasser durch kluges Regenwassermanagement
Auch die von Ihnen verwendeten Begrünungssysteme brauchen in trockenen Zeiten Wasserzugaben. Wie ist die Versorgung geregelt?
Klaus Wegenast: Im Idealfall wird auf dem Dach und den Belagsflächen Regenwasser gesammelt, etwa in Zisternen. Je dicker der Substratkörper, umso besser können die darin wurzelnden Pflanzen ganzjährig versorgt werden – auch bei Trockenheit. So sind auch unsere greencityWALLs aufgebaut. Das Regenwasser läuft durch das Fassadensystem hindurch und wird durch die Bodenbewurzelung und Mikroorganismen in der Substratschicht gefiltert. Wenn kein Zisternensystem vorhanden ist, dann wird über die vorhandene Wasserleitung gewässert.
Wie berechnet sich der Wasserbedarf?
Klaus Wegenast: Ein Quadratmeter Pflanzenwand benötigt etwa einen Kubikmeter Wasser pro Jahr. Das entspricht ungefähr dem durchschnittlichen Jahresniederschlag in Freiburg oder München. Wichtig ist, dass die horizontal angelegten Pflanzen nie ganz austrocknen dürfen. Deshalb beginnt die Pflege mit der Bewässerungskontrolle. Dabei steuern wir größere Objekte mit vollautomatischen Bewässerungssystemen über Sensoren. Damit können wir von Freiburg aus auch begrünte Fassaden in Dortmund oder Stuttgart ausreichend feucht halten. Bei kleinen Pflanzwänden genügt ein Wasserhahn mit Zeitschaltuhr.
Unter Fachleuten aus Planung oder Architektur gilt noch immer der Grundsatz, dass Wasser der Feind aller Gebäude ist. Ist hier ein Umdenken erforderlich?
Klaus Wegenast: Davon bin ich überzeugt. Die Erkenntnis, dass Grünwandsysteme ein Gebäude herunterkühlen und zusätzlich dämmen können, ist für viele Neuland. Zudem ist der Zusammenhang leider noch nicht genug erforscht.
Die Dämmung kommt durch die Schichten zustande: Wenn wir mit unseren Systemen eine klassische Fassade bauen, dann ist diese vier Zentimeter hinterlüftet. Darauf folgt eine Rückwand und eine definierte Wand mit beispielsweise einer Zwölf-Zentimeter-Substratschicht. Den Abschluss bildet die Frontseite, aus der die Pflanzen wachsen.
Ein gutes Beispiel für die Dämmwirkung? Das ist das Technische Rathaus in Wien. Die Fassadenbegrünung mit Wasserversorgung sorgt für Verdunstungskühle. So wird im Sommer keine Klimaanlage mehr in den Innenräumen benötigt.
Grüne Pflanzwände vereinen viele Benefits – von der Kühlung bis zur Förderung der Biodiversität
Grüne Fassaden fördern auch die Artenvielfalt in der Stadt. Aber freuen sich all Ihre Kundinnen und Kunden über Vögel oder Spinnen?
Klaus Wegenast: Ein Kunde, der eine große Fassadenbegrünung in Auftrag geben wollte, sagte: „Aber bitte so, dass keine Vögel nisten.“ Allerdings funktioniert eine Flora ohne Fauna nicht. Denn natürlich nimmt die Vogelwelt ein solches Angebot schnell an. Genauso wie Insekten oder Eidechsen. Grüne Wände sind voller Leben. Wenn man das nicht will, dann muss man es ganz lassen.
Arten der Fassadenbegrünung
Erdgebundene Fassadenbegrünung
- Selbstklimmer wie wilder Wein oder Efeu wachsen aus dem Erdreich an Fassaden hoch
- Gerüstkletterpflanzen wie Blauregen oder Rosen breiten sich mittels Rankhilfen an Fassaden aus
- Wasserversorgung über Erdpflanzloch
Fassadengebundene Begrünung
- auch Living Walls oder vertikale Gärten genannt
- Grünpflanzen bilden die „Außenfassade“
- Wurzeln in Vliestaschen oder Substratsystemen ohne Kontakt zur dahinterliegenden Gebäudewand
- fassadengebundene Systeme entfalten je nach verwendeten Pflanzarten eine sofortige Flächenwirkung
- aufwändigere Baukosten und Pflege, allerdings auch mehr Gestaltungsmöglichkeiten
- Wasserversorgung meist über vollautomatische Systeme
Welche Pflanzen eignen sich für eine vertikale Begrünung?
Klaus Wegenast: Das hängt von der Zielsetzung einer Auftrags ab: Soll die grüne Wand vorrangig ein architektonisches Highlight darstellen, oder geht es um maximale Biodiversität? Am liebsten baue ich Systeme, bei denen sich viel Natur in der Vertikalen entwickeln kann, da dürfen auch Brennnesseln wachsen. Grundsätzlich verwenden wir immergrüne Pflanzen, damit die Fassade im Winter nicht trist aussieht. Ansonsten können in unseren Systemen fast alle Pflanzen verwendet werden. Beim Green City Tower haben wir immergrüne Gräser und Stauden verwendet, Lavendel, Rosmarin, verschiedene Polsterstauden und Steingartenpflanzen.
Autorin: Conny Frühauf
Fotos: Martin Rottenkolber
Zur Person:
Klaus Wegenast hat zunächst eine Lehre als Blumen- und Ziergärtner absolviert. Anschließend war er ein Jahr lang in einer Baumschule tätig und wechselte danach in den Garten- und Landschaftsbau. Von 1984 bis 1986 machte er an der Universität Hohenheim seinen Meister und Techniker Fachrichtung Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau. Es folgten verschiedene Führungspositionen in Bau- und Betriebsleitung. 1992 gründete er in Freiburg seinen eigenen GaLaBau-Betrieb flor-design. Seither ist das Unternehmen von anfänglich zwei auf derzeit 130 Arbeitskräfte angewachsen. 2014 wurden zwei flor-design Fachbereiche abgespalten: Dachbegrünung & Vertikale Wandbegrünung in die flor-design Dach GmbH & flor-design Wand GmbH. Durch eigene langjährige Forschung hat das Unternehmen mit greencityWALL ein eigenes Modulsystem zur Fassadenbegrünung entwickelt.