Gründächer – Vision wird Wirklichkeit
Als Jürgen Quindeau vor fast 40 Jahren die ersten Gründächer anlegte, galt das als exotisch. Sie zierten höchstens die Holzhäuser der „Ökos“. Genau das gefiel ihm. Früh erkannte er ihren ökologischen und ökonomischen Nutzen – und blieb dabei. Folgerichtig gründete Jürgen Quindeau 2003 GRÜN+DACH. Heute erhält er mehr Anfragen, als er abarbeiten kann. Denn das Thema ist in der breiten Öffentlichkeit angekommen.
Ein Wald auf dem Dach: Hundertwassers Traum
Vor mehr als 50 Jahren prophezeite ein österreichischer Künstler in einer Rede, dass es irgendwann ein Gesetz geben werde, das die Begrünung von Dächern vorschreibt. Damals landete er noch in der „Öko-Ecke“ und wurde belächeltet. Denn seine Vision von Bäumen, die durch meterdicke Humusschichten auf Dächern wachsen, klang wie eine Erzählung aus dem Fabelreich.
Der Künstler hieß Friedensreich Hundertwasser und war nicht nur Maler. Zudem betätigte er sich auch auf den Feldern der Baukunst und des Umweltschutzes. Längst ist seine kunterbunte Fabelwelt steingewordene Architekturkunst. Seine Häuser gelten international als touristische Highlights. Von den Dächern der Hundertwasserhäuser wachsen ganze Wälder in den Himmel.
Lange hat sich Jürgen Quindeau mit dem Wiener Künstler beschäftigt. In ihm sieht er einen Visionär. Denn tatsächlich haben wir heute Gesetze, die die rechtlichen Grundlagen für den breiten Einsatz von Gründächern schaffen. Jetzt spielen sie eine wichtige Rolle, um auf die Herausforderung des Klimawandels zu reagieren. Vor allem im urbanen Umfeld.
Das Baugesetzbuch
schafft die rechtliche Grundlage, nach der jede Gemeinde Begrünungsmaßnahmen auf Dächern in ihren Bebauungsplänen als Pflanzgebot festschreiben kann.
Das Bundesnaturschutzgesetz
legt fest, dass für ein Bebauungsplangebiet, für Teile davon oder für Teile baulicher Anlagen das Anlegen von Bepflanzungen festgesetzt werden kann.
Tatsächlich nutzen mittlerweile viele Landkreise und Kommunen diese Möglichkeiten, indem sie im Bebauungsplan das Begrünen von Flachdächern und flachgeneigten Dächern zur Auflage machen.
Ganzheitliche Gebäudebegrünung: das Ronald McDonald Haus im Gruga-Park, Essen
2005 erhält Jürgen Quindeau den Auftrag, das Dach eines Hundertwasser-Hauses in Essen zu begrünen. 900 Quadratmeter Fläche Intensivbegrünung – mit 50 Bäumen, Sträuchern und einer wilden Wiese. Die Herausforderung: ein Anstieg über eine langgezogene Rampe von Null auf 13 Meter Höhe.
Der Künstler war bereits seit fünf Jahren tot. Er hinterließ Skizzen, auf deren Grundlage das Architekturbüro Springmann mit Sitz in Esslingen von der Hundertwasserstiftung und der McDonalds Kinderhilfe beauftragt wurde, das Projekt auszuführen. Hundertwasser wollte, neben der sozialen, menschlichen Komponente, auch einen konstruktiven Umgang mit der Natur aufzeigen: Nach der Fertigstellung des Baus sollte mehr Natur vorhanden sein als vorher. Nur unter dieser Voraussetzung durfte der Bau mitten im Gruga-Park überhaupt realisiert werden.
Kinder fahren Schlitten auf dem Dach
Jürgen Quindeau wurde mit seiner Firma GRÜN+DACH für die Dachbegrünung angefragt: „Da war die Vegetationstechnik noch unausgegoren. Die habe ich komplett überarbeitet“, erinnert er sich. Auf seinen Vorschlag hin wurden vor Ort auf den schrägen Flächen nachträglich Schubschwellen einbetoniert und die Drainage neu geplant. In seinem Pflanzplan berücksichtigte er die Vorgaben Hundertwassers und so wurde der Plan vom Nachlassverwalter genehmigt: Bäume, deren Kronen sich im Laufe der Jahre berühren und zu einem Wald zusammenwachsen.
Der Künstler wollte möglichst einheimische, standortgerechte Baumarten, die auf dem künstlich angeschütteten Boden bei einer Neigung von 15 bis 25 Grad wachsen können. Was für die Fensterformen galt, sollte auch für die Baumformen gelten: Kein Baum sollte dem anderen gleichen. Eine Wildwiese sollte zum Spielen einladen.
Jürgen Quindeau erhielt nicht nur den Auftrag für das Gründach, sondern auch für dessen Pflege. „Wir hatten anfangs mal einen Winter mit viel Schnee, da sind die Kinder auf dem Dach des Hauses Schlitten gefahren“, erzählt er. „Und das war ganz im Sinne Hundertwassers. Denn seine grünen Dächer sollten nicht nur angeschaut, sondern auch benutzt werden.“
Leuchtturmprojekte auf grünen Dächern
Schon nach seiner Gärtnerausbildung in einer Baumschule am Niederrhein hat Jürgen Quindeau seine Leidenschaft für grüne Dächer entdeckt. Der GaLaBau-Betrieb, in dem er arbeitete, hatte Erfahrungen mit Teichanlagen, deren Untergrund mit verschweißten Bahnen abgedichtet werden mussten. Dann kamen die ersten Anfragen für Dachbegrünungen und sein damaliger Chef wollte ins Thema einsteigen. „Da kamen die ganzen sogenannten Ökos, die einfach mal anders bauen wollten. Mit Holz oder Lehm“, erinnert sich Quindeau.
Plötzlich tauchten überall in Deutschland begrünte Dächer auf. In Hannover gab es ein Leuchtturmprojekt, das auch in Fachzeitschriften beschrieben wurde, erinnert sich Quindeau. In dieser Anfangsphase dichtete man meist einfach mit PVC-Dachbahnen ab. Darauf kam eine Schicht Mutterboden, gemischt mit Blähton. „Zum Schluss folgte der Rollrasen. Damals mussten wir den Leuten noch erklären, dass sie sich keine Ziegen oder Schafe kaufen müssen, die da oben weiden, um das Gras kurz zu halten“, amüsiert sich Quindeau noch heute.
Diplom-Ingenieur, Landschaftsgärtner und Dachdecker
1984 schreibt er sich für ein Studium der Landschaftsarchitektur an der (heutigen) Universität Duisburg-Essen ein. Gleichzeitig arbeitet er weiter im GaLaBau-Betrieb und ist so mit seinem quasi in Eigenregie organisiertem dualen Studium der Zeit voraus. Im Fach Ingenieurbiologie verfasst er 1985 als Erster eine Arbeit über extensive Dachbegrünung . Darin überrascht er seinen Professor damit, was sich aus dem Nischenthema alles herausholen lässt.
1988 macht sich Quindeau zusammen mit einem Studienkollegen selbstständig. Neben den klassischen Feldern des Landschaftsbaus findet sich auch die Dachbegrünung im Angebots-Portfolio. Inzwischen hat Jürgen Quindeau viel praktisches und theoretisches Know-how gesammelt. Als er erfährt, dass die Handwerksordnung die Möglichkeit einräumt, ein benachbartes Gewerk mit abzudecken, stellt er bei der Handwerkskammer Düsseldorf einen Antrag, auch als Dachdeckerbetrieb anerkannt zu werden. Dafür erbringt er Nachweise über ausgeführte Projekte, absolvierte Schulungen und Weiterbildungen. Abschließend führt er ein sogenanntes Vergleichsgespräch vor der Dachdeckerinnung Krefeld und erhält die Erlaubnis, im Bereich der Abdichtung mit Bahnen das Dachdeckerhandwerk auszuführen. 1997 erfolgt die Eintragung in die Handwerksrolle als Dachdecker.
Spezialisierung: GaLaBau, Dachabdichtung und Dachbegrünung
Soll ein Gründach angelegt werden? Dann wenden sich die meisten Planungs- und Architekturbüros an Dachdeckerbetriebe. „Ich sage es mal etwas ketzerisch: Alles, was mit Dach anfängt, wird den Dachdeckerbetrieben zugeordnet, also Dachabdichtung und Dachbegrünung. Was ich grundsätzlich für falsch halte. Denn Dachdecker lernen nur am Rande etwas über Dachbegrünung. Und das Wissen bleibt in der Regel rudimentär. Niemand würde einen Gärtner mit der Dachabdichtung beauftragen. Ich bin ein exotischer Fall, denn ich kann mir aussuchen, auf welcher Seite ich gerade stehe.“
Am liebsten arbeitet er mit guten Dachdeckerbetrieben zusammen. Das Betätigungsfeld sei in beiden Berufen riesig. Und deshalb eine Spezialisierung sinnvoll. Denn um solide und funktionierende Gründächer anzulegen, braucht es viel Erfahrung – in beiden Gewerken.
Kommunen fordern und fördern Gründächer
Inzwischen ist das Thema in der breiten Öffentlichkeit angekommen. Fachmedien, aber auch Publikumsmedien berichten regelmäßig im Zusammenhang mit Klimaschutz, Starkregenereignissen, Schwammstadtprinzip oder Artenvielfalt darüber. Entsprechend häufen sich die Anfragen bei GRÜN + DACH. Landkreise und Kommunen fördern und fordern die Umsetzung von Gründächern und schreiben sie in Bebauungsplänen fest.
Jürgen Quindeau arbeitet in einem fünfköpfigen Team – das er gerne vergrößern würde. Doch es ist schwer, qualifizierte Fachkräfte zu finden. Auch deshalb ist er froh, frühzeitig auf professionelle Netzwerke gesetzt zu haben. So stemmt er große Projekte in Arbeitsgemeinschaften gemeinsam mit anderen Betrieben. „Meine persönliche Philosophie war nie, nach immer mehr Wachstum zu streben“, resümiert er.
Fachautor und Referent zu Dachbegrünung
Am liebsten pendelt er zwischen Büro und Baustelle. Alle ein, zwei Jahre schreibt er einen Fachartikel. Bis zum Ausbruch der Corona-Pandemie hat er sein praktisches Wissen auch in Gastvorlesungen im Studiengang „Landschaftsarchitektur und Landschaftsplanung“ an der Universität Kassel weitergegeben.
Voll im Trend: Biodiversitäts-Gründächer, Klima-Gründächer, Retentions-Gründächer
Jürgen Quindeau begrüßt den deutlichen Trend zur Vielfalt bei grünen Dächern: Dachgärten, Biodiversitäts-Gründächer, Klima-Gründächer, Retentions-Gründächer. „Lange Zeit haben wir Gründächer nur als dünnschichtige Aufbauten gesehen, mit sukkulenten Pflanzen, die mit acht bis zehn Zentimeter Substrat auskommen“, sagt Quindeau. „Das ist etwas monoton und fantasielos. Wir brauchen mehr Mut, auch auf Investoren- wie auf Bauherrenseite. Etwas häufiger über den Tellerrand schauen, könnte helfen. Dann könnten wir auch unsere Kundschaft entsprechend unterstützen und beraten.“
Dach-Umnutzung und grüne Neugestaltung – statt Abrissbirne
Immer häufiger ist seine langjährige Expertise gerade auch bei anspruchsvollen Bauprojekten gefragt. So etwa beim Umbau des Hertie-Kaufhauses in Lünen: ein riesiger Quader in Innenstadtlage. Statt ihn der Abrissbirne preiszugeben, schlug ein Architekturbüro vor, einfach eine Scheibe mittig herauszuschneiden. Und Jürgen Quindeau erhielt den Auftrag, die freigelegten 900 Quadratmeter Dachfläche mit Rasen für die neuen Mieter nutzbar zu machen: zum Ballspielen oder Picknicken. „Da hat jemand einfach mal anders gedacht, und plötzlich haben wir mitten in der Stadt eine neue große Rasenfläche“, schwärmt Quindeau.
Auch Retentions-Gründächer legt Quindeau immer öfter an. Dabei wird, etwa zur Vorbeugung von Überschwemmungen bei Starkregenereignissen, über einen festgelegten Zeitraum mittels verschiedener Techniken unter der Begrünung bewusst Wasser zurückgehalten. Anschließend wird dieses gedrosselt abgeleitet.
Biodiversitätsdächer: Statik beachten!
Vor allem in Biodiversitätsdächern sieht Quindeau enormes Potential, um gerade im urbanen Umfeld das Angebot für die Natur zu erweitern. Allerdings, betont er, erfordert die Anlage von Gründächern viel Erfahrung. Vor allem müsse zu Beginn die Statik der Bauwerke in den Blick genommen werden. Dieser Punkt werde bei der Angebotserstellung oft übersehen: „Wenn etwa auf eine einfache Garage acht bis zehn Zentimeter Substrat kommen sollen, ergibt das wassergesättigt fast zwei Tonnen Gewicht. Im Winter kommt vielleicht noch Schnee dazu. Fertiggaragen sind dafür aber nicht geeignet. Da muss man zuvor beim Händler nachfragen.“
Kiesdach wird zum Garten mit Kinderspielplatz
Allerdings könnten viel mehr Menschen Dachflächen als kostenloses weiteres Grundstück nutzen, findet Quindeau. So wie die Bewohnerinnen und Bewohner eines Hauses in Düsseldorf-Gerresheim, die von ihren Fenstern aus jahrelang auf 300 Quadratmeter Kiesfläche starrten. Die befand sich auf dem Flachdach eines Biosupermarktes. Dann ließ Quindeau den Kies abräumen und legte einen Garten an. Mit Kinderspielplatz, Sitzplatz und Pergola. Hinterm Zaun ragen nun alte Bäume auf, die schon vorher im Hof standen. „Die Menschen merken gar nicht, dass sie auf einem Dach sind. Sie haben die Illusion von einem ganz normalen Garten“, begeistert sich Jürgen Quindeau.
Von seinem Bürofenster in Heiligenhaus aus blickt Quindeau auf seinen privaten Anbau. Auf dem begrünten Flachdach liegen Natursteine und Holzstapel. „Da verändert sich ständig etwas. Pflanzen siedeln sich an, plötzlich tauchen Tiere auf.“ Darüber freut sich Jürgen Quindeau sichtlich und knüpft damit auch an Kindheitsträume an. Denn schon als kleiner Junge legte er mit Hingabe Terrarienlandschaften an. Und schaute dann einfach zu, was passiert.
(Autorin: Conny Frühauf)