Riesen-Potenzial Dachgrün
Interview mit BGL-Vizepräsident und Dachgrün-Experte Jan Paul
BGL-Vizepräsident Jan Paul ist nicht nur als Vorsitzender des BGL-Ausschusses Stadtentwicklung politisch ständig im Einsatz für (mehr) Stadtgrün und Fördermittel. Mit seinem GaLaBau-Unternehmen in Dessau hat er sich außerdem seit vielen Jahren auf Dachbegrünung spezialisiert. So machen große, professionell begrünte Dachflächen in Großstädten wie Leipzig und Dessau heute über 80 Prozent seines Auftragsvolumens aus. Mit seiner Mannschaft begrünt er jedes Jahr tausende Quadratmeter gewerblicher Dächer, zum Beispiel auf Tiefgaragen.
In Zeiten steigender Grundstückspreise und schrumpfenden Wohnraums bergen hunderttausende Dächer in Deutschland großes ungenutztes Potenzial, zum Beispiel als private Dachgärten und begrünte Dachterrassen. In verdichteten Städten bieten sie mehr Lebensqualität im öffentlichen Raum, zusätzliche Grün-, Sport- und Spielflächen, sowie Artenvielfalt und Klimaschutz mit echtem Standortvorteil für Unternehmen, Städte und Gemeinden.
Durch neue Verordnungen auf kommunaler und auf Landesebene ist die Planung und Umsetzung von Dachgrün bei Neubauprojekten in Deutschland immer häufiger verpflichtend. Ein neuer Trend?
Mehrwert Dachgrün: zusätzliche grüne Lebensräume
Jan Paul: Wer mit diesem Thema arbeitet, beobachtet diesen Trend schon seit fast zehn Jahren. Immer mehr Kommunen haben hier entsprechende rechtliche Vorgaben gemacht, die wie ein Motor für mehr Dachbegrünung wirken.
Aber die rechtlichen Rahmenbedingungen sind nicht der einzige Treiber für Dach- und Fassadengrün: Gleichzeitig verstehen immer mehr Menschen den Mehrwert zusätzlicher grüner Lebensräume auf unseren Dächern und fordern das zum Beispiel beim Kauf oder Bau einer neuen Wohnung oder eines Eigenheims deutlich ein. So bekommt ein Bauherr heutzutage Druck von seinen Auftraggebern, auch für Begrünung zu sorgen. Denn die Menschen wollen nicht in eine Betonwüste einziehen. Das zwingt Investoren mittlerweile quasi dazu, die Tiefgarage intensiv zu begrünen. Außerdem haben viele längst begriffen: Projekte mit attraktivem Dachgrün lassen sich deutlich besser und teurer verkaufen …
Die wachsende Nachfrage nach begrünten Dächern und Fassaden birgt große Chancen für Landschaftsgärtnerinnen und -gärtner. Welches Potenzial sehen Sie für den GaLaBau beim Thema Dachgrün?
JP: Ich bin davon überzeugt: Da steckt noch ein riesiges Auftragspotenzial beim Dachgrün – das kann sogar größere Ausfälle im Privatgarten und im öffentlichen Bereich kompensieren.
„Auf der Dach-Baustelle ist man als GaLaBau-Betrieb auch mal mit vier Kränen gleichzeitig vor Ort, um Bäume und Gehölze sicher an die richtigen Plätze da oben zu transportieren.“
Allerdings birgt professionelle Dachbegrünung auch ganz besondere Herausforderungen: Denn dieses Tätigkeitsfeld geht weit über die Begrünung privater Dächer hinaus. Ich spreche von großen öffentlichen Projekten mit vielen tausend Quadratmetern Fläche für Sport- oder Spielplätze, von großen gewerblichen Dachflächen, die als begrünte Freizeiträume viele Funktionen erfüllen müssen. Dafür braucht es spezielle Expertise.
Aktuell gibt es viel branchenübergreifenden Wettbewerb beim Thema Gebäudegrün und insbesondere bei begrünten Solardächern. Was kann und muss der GaLaBau tun, um dieses Feld professionell zu besetzen und sich hier stark zu positionieren?
Wichtiges Weiterbildungsthema
JP: In Sachen Pflanz- und Pflanzenkompetenz sind wir Landschaftsgärtnerinnen und -gärtner genau die Richtigen! Da sind wir mit unserer grünen Kernkompetenz die Fachleute, auch auf dem Dach und an der Fassade. Das könnten andere Gewerke einfach nicht in dieser Qualität.
Allerdings ist Dachgrün auch für uns ein wichtiges Weiterbildungsthema: Technik, Statik, sicherheitsrelevante Ausstattung für Hoch-Dächer, die vegetationstechnische Arbeit mit Substraten, intensive versus extensive Begrünung, die richtigen Maschinen – Dachgrün erfordert Spezialwissen und ist ein dauerhaftes Lernthema.
Retentionsdach, Biodiversitätsdach
In den letzten Jahren wird zum Beispiel die Expertise zu Retentionsdächern wichtiger: Denn sie halten auch bei Starkregen das Wasser zurück und geben es erst zeitlich verzögert am Niederschlagsort ab. In immer mehr Städten ist aufgrund von zunehmenden Extremwettern das Retentionsdach bei öffentlichen Aufträgen zentrales Thema.
Ein weiterer Trend ist das Biodiversitätsdach, das Habitate für eine große Pflanzenvielfalt, aber auch Rückzugsraum und Nahrungsquelle für viele Insekten und andere Tiere bietet.
Auf der Dach-Baustelle ist man als GaLaBau-Betrieb auch mal mit vier Kränen gleichzeitig vor Ort, um Bäume und Gehölze sicher an die richtigen Plätze da oben zu transportieren. Dachgrün, das ist ein Thema mit sehr viel Verantwortung – für das eigene Team, für die Baustelle über den Köpfen der Menschen und für die dauerhafte Sicherheit solcher begrünten Dachflächen, die ja neben Unwettern und Starkregen auch einer intensiven Freizeitnutzung standhalten müssen.
Riesiger neuer Freiraum in der Stadt
Aber wenn man dann sieht, dass da ein riesiger neuer Freiraum mitten in der Stadt entstanden ist, in dem Kinder spielen und Menschen auf dem grünen Dach ihren Feierabend genießen: Das ist ein beträchtlicher Gewinn an Lebensqualität.
TOP10-Vorteile von Gründächern
- Klimaschutz: Gründächer binden Wasser vor Ort, kühlen (auch durch Verdunstung) die Umgebung. So verbessern sie spürbar das Mikroklima. Große Gründächer können ganze Gebäudekomplexe oder Stadtviertel kühlen.
- Artenvielfalt: Professionell begrünte Dächer leisten 100 Prozent mehr für den Artenschutz als zugeschotterte, „tote“ Dächer.
- Lebensqualität: Dachgärten, grüne Sport- und Spielplätze oder Garden Offices „in luftigen Höhen“ sind Wohlfühlorte mit hoher Aufenthaltsqualität. Hierher kommen Menschen gern, sie beleben das soziale Miteinander, fördern eine gute Nachbarschaft, bieten neue grüne Aus- und Weitblicke mit Abstand zum Verkehrslärm und Raum für „Urban Gardening“-Projekte.
- Immobilienwert/Miete: Längst wollen Menschen nicht mehr in einen Neubau ohne (Dach-)Grün ziehen. Begrünte Außenflächen, Dächer und Fassaden, ein grünes Umfeld sind ein starkes „Verkaufsargument“ für Immobilien geworden. Das ist längst auch bei den Bauherrinnen und Bauherren angekommen. Wer Gebäude nicht begrünt, hat einen deutlichen Wettbewerbsnachteil.
- Dämmung/Schutz von Gebäuden: Dach- und Fassadengrün, von Fachleuten angelegt und gepflegt, schützt und dämmt Gebäude langfristig. Das spart dauerhaft Sanierungs- und Energiekosten – ein durchschlagendes Argument für Investoren, Immobilienbesitzer, Mieterinnen und Mieter.
- Gesundheitseffekte: Grün ist gesund, für Körper und Seele – viele wissenschaftliche Studien haben das bestätigt. Da ist zum einen die positive Wirkung von Natur, Pflanzen, Vogelstimmen auf die Menschen; zum anderen bieten zusätzliche (Dach-)Grünräume die Chance auf Sport, Spiel und Regeneration unter freiem Himmel, Tageslicht und frische Luft.
- Einsparungen – geldwerte Vorteile: Retentionsdächer binden Wasser am Niederschlagsort und verdunsten es dort. Das spart Abwassergebühren und gleichzeitig Bewässerungskosten, aber auch Energiekosten (s. „Retentionsdach“ und „Dämmung“).
- Wassermanagement – Retentionsdach: Gründächer binden Regenwasser am Niederschlagsort, auch bei Extremwettern. Retentionsdächer speichern das Regenwasser und geben es bei Bedarf oder in Dürrezeiten hier wieder ab, bewässern das Dachgrün und verdunsten und kühlen gleichzeitig.
- Verkehr: Dachgrün schafft zusätzlichen (grünen) Erholungsraum für die ganze Familie, mitten in der Stadt, ohne Anfahrt und zusätzliche Wege. Das mindert das Verkehrsaufkommen in den Städten, senkt Feinstaubwerte und Lärmbelastung und den Bedarf an Parkflächen.
- Fachkräftegewinnung: Dachgrün wirkt als Standort- und Wettbewerbsfaktor bei der Suche nach Arbeitskräften. Je mehr gepflegte Grünflächen eine Stadt anbietet, desto attraktiver ist sie für die Menschen als Wohn- und Arbeitsort.
Surftipp: Stadtgrün wertschätzen!
Alle Fotos (wenn nicht anders benannt): Lutz Schneider/GaLaBau Dessau