Artenvielfalt in der Stadt – Beispiel: Bonn
Bei der Artenschutzkonferenz Ende 2022 in Montreal hat sich die Weltgemeinschaft auf ein umfassendes Naturschutzprogramm geeinigt. Damit soll auch der dramatische Verlust von Artenvielfalt gestoppt werden. Biodiversitätsstrategien gibt es sowohl in der EU als auch auf kommunaler Ebene. David Baier, Leiter des Amtes für Umwelt und Stadtgrün der Stadt Bonn, erläutert im Interview deren Bedeutung.
Herr Baier, die Stadt Bonn ist Gründungsmitglied des Globalen Aktionsbündnisses der Städte und Regionen für Biodiversität. Warum ist Artenvielfalt in der Stadt ein derart wichtiges Thema?
Megaherausforderung Klimawandel
David Baier: Wir müssen bei diesem Thema nicht nur die Städte, sondern den gesamten Planeten im Blick haben. Die Weltwirtschaftsforen haben zuletzt die Megakrisen definiert, über die wir alle sprechen: Klimakrise, Wetterextreme, Virenausbrüche und Artensterben. Dabei hat mich erstaunt, dass die schwindende Biodiversität auch aus Sicht der Wirtschaft als eine der größten Herausforderungen dieses Jahrzehnts erkannt wird. Als Amt für Umwelt und Stadtgrün stehen wir natürlich vor der Megaherausforderung des Klimawandels. Ständig fragen wir uns, wie wir uns besser anpassen können. Aber Grundlage unseres Lebens ist letztlich die ökologische Gesamtstabilität.
Städte: Hotspots der Biodiversität
Schließlich leben wir alle in einem engen, artenreichen Netz, sind miteinander und voneinander abhängig. Erst dieses Gesamtverständnis lässt uns die Bedeutung der Biodiversitätsförderung in der Stadt ermessen. Viele Studien haben diese Zusammenhänge belegt, aber letztlich müssen wir diesen Hintergrund beim Übertragen auf die städtischen Flächen kennen. Über 60 Prozent dieser Flächen sind besiedelt. Vor uns liegt eine riesige Aufgabe. Alle wissenschaftlichen Erkenntnisse zeigen ja, dass Städte Hotspots der Biodiversität sind.
„Gerade in Städten sehnen wir uns ja nach Natur und Ästhetik.“
Artenvielfalt ist in Städten teilweise höher als auf dem Land
Städte als Hotspots der Biodiversität? Können Sie das bitte erklären?
David Baier: Mittlerweile haben wir in den bebauten Räumen ein Mosaik kleinster, eng miteinander vernetzter Lebensräume. Hingegen haben wir auf freien Flächen, etwa rund um Bonn und Köln, viele großflächige Monokulturen. In diesen sehr spezifischen Lebensräumen finden sich nur noch einzelne Arten. Dagegen treffen wir in den Städten Vielfalt an, auch wenn sie sich insgesamt zurückentwickelt hat.
Die Maßnahmen der letzten 15 Jahre waren nicht ausreichend. Das Artensterben schreitet schneller voran als je zuvor. Allein bei den Fluginsekten sind über 70 Prozent vom Aussterben bedroht. Deshalb haben wir hier den drängenden Auftrag, dieses Mosaik der vielfältigen Vernetzungen auszubauen. Darüber hinaus ist mir aber noch ein Punkt sehr wichtig, der oft übersehen wird. Es geht beim Artenverlust auch um den Verlust von Lebensqualität. Dabei spielt auch Ästhetik eine Rolle. Wenn Sie einen Schmetterling wie den Admiral sehen, dann freuen Sie sich einerseits, dass es ihn noch gibt. Andererseits erfreuen Sie sich auch schlichtweg an seiner Schönheit. Dieser Aspekt des Schönen, Lebendigen gehört auch zum Lebensgefühl, das wir mit Vielfalt verbinden. Gerade in Städten sehnen wir uns ja nach Natur und Ästhetik.
Genetische Vielfalt auch unter ästhetischen Gesichtspunkten denken
Bonn ist 2019 vom Bündnis „Kommunen für biologische Vielfalt“ mit dem Label „StadtGrün naturnah“ in Silber ausgezeichnet worden. Was genau haben Sie schon alles angestoßen?
David Baier: Auch hierbei müssen wir wieder die Gesamtstrategie im Blick haben. Man kann das Thema Biodiversität nicht singulär betrachten. Deshalb haben wir eine Nachhaltigkeitsstrategie auf den Weg gebracht, bei der die Aspekte des Artenschwunds aus der Lebensraumvielfalt benannt werden. Hier können wir jetzt mit vielen Maßnahmen aktiv werden, etwa mit unserem Aktionsprogramm „Biodiversität“. Das besteht bereits seit über zehn Jahren, hat einen wissenschaftlichen Ansatz und konnte jetzt evaluiert werden. Dabei haben wir festgestellt, dass wir den Artenschwund keineswegs gebremst haben. Dafür haben wir aber im Umgang mit Lebensräumen einiges erreicht. 50 Prozent des Bonner Stadtgebiets sind inzwischen als Landschafts- oder Naturschutzgebiete ausgewiesen. Das ist im Vergleich zu anderen Städten wirklich beachtlich.
„Die Transformation muss alle Bereiche erfassen, auch den Individualverkehr.“
Wie gehen Sie mit Zielkonflikten um, die sich mitunter daraus ergeben? Etwa dem, dass insektenfreundliche Pflanzen in Blühstreifen entlang von Verkehrsachsen diese zwar anlocken, sie aber dann auf ihrer Flugroute auch gefährden, weil sie auf den Windschutzscheiben der vorbeifahrenden Autos landen können.
Allumfassende Transformation
David Baier: Natürlich reicht es nicht aus, entlang von Hauptverkehrsachsen artenreiche Wiesenflächen und Magerstandorte anzulegen. Die Transformation muss alle Bereiche erfassen, auch den Individualverkehr. Wenn wir das Thema artenreiche Lebensräume schneller vorantreiben als die Mobilitätswende, dann ergibt sich hier ein Konflikt. Aber genau das zeigt auch, dass wir nicht isoliert denken dürfen.
Es ist richtig, dass etliche wissenschaftliche Studien das Konfliktpotenzial zwischen Insektenflugrouten und Autoverkehr aufgezeigt haben. Wenn man jedoch genau liest, zeigen die Ergebnisse unterm Strich, dass die Artenvielfalt zugenommen hat, auch wenn der Verlust durch den Autoverkehr im Vergleich zu früher größer geworden ist. Dennoch rate ich davon ab, die Entwicklung artenreicher Grünflächen seitlich von Straßenzügen vor diesem Hintergrund in Frage zu stellen. Letztlich muss diese Diskussion von der Fachwissenschaft geführt werden. Was wir brauchen, ist eine Transformation des großen Ganzen, die Stadt und Siedlungsräume umfasst. Dabei müssen wir sensibler mit versiegelten Flächen umgehen. Zudem brauchen wir eine andere Wasserwirtschaft, einen neuen Umgang mit Hitze in besiedelten Räumen. Erst wenn man alles zusammendenkt, wird daraus lebendige Vielfalt.
Zur Person:
David Baier leitet seit September 2020 das Amt für Umwelt und Stadtgrün der Stadt Bonn. Nach seiner Ausbildung im Garten- und Landschaftsbau in Fulda absolvierte er ein Studium der Landespflege (Schwerpunkt Naturschutz und Landschaftsplanung) an der Fachhochschule Wiesbaden-Geisenheim sowie ein Studium der Landespflege (Schwerpunkt Stadtplanung) an der Universität Kassel. Anschließend war er als projektleitender Ingenieur für Landschaftsarchitektur und Stadtplanung im Biosphärenreservat Rhön tätig. Dann folgten weitere Stationen: jeweils die Abteilungsleitung im Fachbereich Grün der Stadt Peine, in den Themenfeldern „Freiraumplanung, Landschaftsarchitektur, Wald, Umweltbildung“ im Amt für Stadtgrün Bonn sowie die Amtsleitung im Amt für Umwelt, Lokale Agenda und Verbraucherschutz der Stadt Bonn.
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Autorin: Conny Frühauf