Nachhaltiges Bauen: Gebäudegrün kann Umweltenergie optimal ergänzen
Nicole Pfoser ist Professorin an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen und Expertin für Gebäudegrün. Als Expertin zog sie der Regelwerkausschuss Fassadenbegrünung der Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau (FLL) zur Überarbeitung der Richtlinie Fassadenbegrünung hinzu. Da schrieb sie gerade ihre Doktorarbeit „Fassade und Pflanze“. Im Interview erklärt die Professorin, wie Bauwerksbegrünung den Einsatz von Umweltenergie optimiert und welche Rolle der GaLaBau in diesem Zukunftsmarkt spielt.
Frau Pfoser, im Forschungsprojekt „Gebäude, Begrünung und Energie – Potenziale und Wechselwirkungen“ hatten Sie bereits vor mehr als zehn Jahren die Idee aufzuzeigen, wie Gebäudegrün und energiesparendes Bauen optimal zusammenwirken. Warum war es Ihnen wichtig, diese Themen zusammenzudenken?
Nicole Pfoser: Damals war ich wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Technischen Universität Darmstadt im Fachbereich Architektur. Ich hatte den Eindruck, dass sich für das Thema Gebäudebegrünung allein nur wenige Architekt*innen und Planer*innen interessieren. Deshalb lag es nahe, diese Thematik mit dem Thema energieeffizientes Bauen zu verknüpfen. Denn das ist eine Vorgabe, die im Grunde alle Planer*innen befolgen.
Ziel: Entscheider*innen und Planer*innen überzeugen
Der Leitfaden „Gebäude, Begrünung und Energie – Potenziale und Wechselwirkungen“ war eine interdisziplinäre Teamarbeit von Architekt*innen, Landschaftsarchitekt*innen, Garten- und Landschaftsbau Expert*innen, Expert*innen des energieeffizienten Bauens und Klimatolog*innen. Unser Ziel war es, Entscheider*innen, Architekt*innen und Planer*innen die Potenziale der Gebäudebegrünung in Bezug auf Gebäudeoptimierung und Verbesserung des Umfelds aufzuzeigen. Und es damit als eine reale Option im Bauen zu verankern.
Wichtige Systematisierungsarbeit
Haben Sie Ihr Ziel erreicht?
Nicole Pfoser: Ja, diese Vorgehensweise erwies sich als sinnvoll. Der Leitfaden ist stark nachgefragt und wichtig für die Branchen aus dem Bereich Begrünung. Entscheidend war zunächst die Systematisierungsarbeit. Denn viele der Bauweisen für die Dach- und die Fassadenbegrünung, die wir beschrieben, waren zuvor nicht bekannt.
„Man könnte Dächer zu 70 Prozent mit aktiver Photovoltaik belegen und darunter trotzdem einen Dachgarten anlegen.“
Ergebnisse in FLL-Richtlinie zur Fassadenbegrünung eingeflossen
Sie haben also den Boden bereitet für eine neue Bewertung von Gebäudegrün?
Nicole Pfoser: Ich denke schon – gemeinsam haben wir klare Benennungen gefunden für die unterschiedlichen Formen der Fassadenbegrünung. Ich freue mich, dass der Regelwerkausschuss Fassadenbegrünung der Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau (FLL) mich zur Überarbeitung der Richtlinie Fassadenbegrünung als Expertin hinzuzog. Ich schrieb da gerade meine Doktorarbeit „Fassade und Pflanze“ und wollte herausfinden: Welche Bauweisen gibt es auf dem Markt, wie zukunftsfähig sind sie, und welche Informationen braucht es, damit die Bauweisen in der Praxis Anwendung finden? Meine Arbeit im Ausschuss und meine Forschungen haben sich sehr gut ergänzt, die Forschungsergebnisse sind in die FLL-Richtlinien für die Planung, Bau und Instandhaltung von Fassadenbegrünungen eingeflossen.
„Die Städte müssen handeln!“
Auf welche weitere Weise haben Sie Ihre Forschungsergebnisse in die Praxis getragen?
Nicole Pfoser: Nach der Veröffentlichung des Leitfadens sind Kommunen aktiv auf unsere Forschungsgruppe zugekommen. Wir unterstützten beispielsweise die Stadt Hamburg bei ihrem Leitfaden zur Dachbegrünung und die Stadt Berlin bei der Veröffentlichung von Maßnahmensteckbriefen zur Gebäudebegrünung. Für die Stadt Freiburg erarbeiteten wir einen Maßnahmenkatalog zur Fassadenbegrünung. Und für das Land NRW erstellten wir ein Gutachten, zur Förderung von Fassadenbegrünungen.
Sind die Themen grüne Stadt und energieeffiziente Stadt heute stärker miteinander verknüpft als vor zehn Jahren?
Nicole Pfoser: Ja, es hat sich viel getan. Die Städte müssen in Bezug auf die Klimaproblematik und das Artensterben zwangsläufig handeln. Da ist das Wissen um sinnvolle Kombinationen willkommen.
Den Wert von Gebäudegrün berechnen
Aufklärungsarbeit zu leisten bei Kommunen, Planer*innen und Architekt*innen ist entscheidend, um die Folgen der Klimakrise durch intelligentes Bauen abzumildern?
Nicole Pfoser: Genau – das ist mein Ziel und das Ziel vieler Kolleg*innen. Wir agieren gemeinsam und unterstützen uns, wo es geht. Ein Beispiel: Es gab bereits Werkzeuge zur Berechnung des Mikroklimas, Solarkataster, die zeigten, welche Dächer sich für Photovoltaikanlagen eignen sowie auch Möglichkeiten, den Biotopflächenfaktor eines Standorts zu erheben. Auch die Potenziale von Begrünungen waren bekannt. In einem Vortrag zeigte ich damals einen ersten Ansatz auf, wie sich mit der Kombination der Werkzeuge darstellen lässt, welche Gebäudeflächen zur Begrünung geeignet sind. Und wie sich damit einschätzen lässt, inwieweit Begrünungen zu Gebäudeoptimierung und Umfeldverbesserung beitragen.
Gründächer steigern die Leistung von Solaranlagen
Gebäudegrün kann kühlen und dämmen, Wasser speichern und Feinstaub binden. Sie beschreiben im Leitfaden zudem, wie Gründächer den Ertrag von Solaranlagen verbessern. Wie funktioniert das?
Nicole Pfoser: Durch die Verdunstungskühlung der Pflanzen: Ihre Überlebensstrategie ist, sich und ihr direktes Umfeld zu kühlen. Genau das unterstützt Solaranlagen: Denn je kühler Solaranlagen stehen, desto mehr Leistung erzielen sie. Es ist bewiesen, dass ein bewässertes Gründach nicht heißer wird als die Umgebungslufttemperatur – an einem heißen Sommertag vielleicht 35 Grad. Frei der Witterung ausgesetzte Dach-Abdichtungen können hingegen 80 Grad heiß werden.
8 Argumente für begrünte Solardächer
Gründächer und begrünte Fassaden erfüllen dabei viele Funktionen für Klimaschutz und Wassermanagement. So können sie zum Beispiel
- die Wärmedämmung im System ergänzen,
- die Lebenserwartung einer Dachabdichtung erhöhen,
- das Kleinklima verbessern,
- eine wichtige Rolle als Nutzungsfläche spielen – zum Beispiel als Dach-(Kräuter)Garten und zusätzlicher, wertvoller Lebensraum, auch für die Hausbewohnerinnen und -bewohner,
- eine wichtige Rolle bei der Regenwasserretention spielen (der Bindung und Nutzung des natürlichen Niederschlags vor Ort),
- gleichzeitig Abwasser- und Bewässerungskosten einsparen,
- durch die Verdunstung der Pflanzen zusätzlich die Umgebung kühlen,
- den Ertrag von Solaranlagen verbessern.
Dachgärten unter Photovoltaik-Modulen
Gab es bei der Kombination von Bauwerksbegrünung und Photovoltaik in den vergangenen Jahren weitere wissenschaftliche Erkenntnisse und praktische Fortschritte?
Nicole Pfoser: Ja, beispielsweise hat die Universität für Bodenkultur Wien Photovoltaik-Pergolen erforscht. Die Wissenschaftler*innen haben untersucht, wie semi-transparente Photovoltaik-Module sich mit Dachbegrünung kombinieren lassen. Dabei haben sie herausgefunden, dass zwischen 27 und 30 Prozent Lichtdurchlass genügen, um darunter intensive Begrünungen wachsen zu lassen. Das bedeutet, man kann Dächer zu 70 Prozent mit aktiver Photovoltaik belegen und darunter trotzdem einen Dachgarten anlegen. Die zunehmend dichte Bebauung erfordert alternative Lösungswege, wie beispielsweise multifunktionale Flächenbelegungen.
Neue Zusatzqualifizierung Fassadenbegrünung
Welche Aufgabe sollte der GaLaBau beim Zusammenspiel von Gebäudegrün und energetischem Bauen übernehmen?
Nicole Pfoser: Die Dachbegrünung ist Usus im GaLaBau. Dagegen ist die Fassadenbegrünung ein Themenfeld, das im GaLaBau meiner Einschätzung nach noch ausbaufähig ist. Gerade im Bereich der wandgebundenen Begrünungen entstehen zurzeit neue Arbeitsfelder. Diesbezüglich leistet Stefan Brandhorst von der Firma Vertiko seit Jahren Aufklärungsarbeit. Letztendlich geht es auf seine Initiative zurück, dass es künftig eine Zusatzqualifizierung zur Fassadenbegrünung gibt. Es ist wichtig, den Fachkräftemangel in diesem Bereich zu beheben. Denn vertikale Gärten sind immer mehr gefragt – doch bislang gibt es kaum Betriebe, die die Qualifikationen erfüllen.
Zukunftsmarkt für den GaLaBau
Woran können sich Kommunen, Unternehmen, Planer*innen und Architekt*innen denn dann orientieren, wenn sie Fassadenbegrünungen beauftragen wollen?
Nicole Pfoser: Da gibt es eine spannende Entwicklung: Anfang 2021 hat sich die Gütegemeinschaft Vertikalbegrünungen gegründet und ein neues RAL-Gütezeichen ins Leben gerufen. Das heißt, es gibt inzwischen eine Zertifizierung für boden- und wandgebundene Fassadenbegrünungen. Das hilft Planer*innen, gute Produkte zu wählen.
Ist der Bereich Gebäudegrün für den GaLaBau ein Zukunftsmarkt?
Nicole Pfoser: Die Entwicklung, in Städten Fassaden- und Dachflächen zu begrünen und auf diese Weise das Stadtgrün zu ergänzen, ist für den GaLaBau sicherlich eine Chance. Ich hoffe sehr, dass noch mehr Kommunen erkennen, wie wichtig unter anderem Gebäudegrün ist, um die Folgen der Klimakrise zu begrenzen und etwas gegen das Artensterben zu tun.
Nicole Pfoser: Kurzprofil
Nicole Pfoser, Jahrgang 1970, ist Professorin für Objektplanung in der Landschaftsarchitektur an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen. Die Architektin und Innenarchitektin mit einem internationalen Master of Landscape Architecture forscht und lehrt zum nachhaltigen Entwerfen und Bauen. Sie beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit der positiven Wirkung von Gebäudegrün auf Energieverbrauch, Klima, Umwelt und Lebensqualität. Pfoser ist stellvertretende Direktorin des Instituts für Stadt und Immobilie (ISI), stellvertretende Institutsleiterin der Akademie für Landschaftsbau und Vegetationsplanung (avela) und Expertin im Regelwerkausschuss Fassadenbegrünung der Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau (FLL). Anfang 2023 erschien ihr Praxisleitfaden „Grüne Fassaden“ .
Weiterführende Links:
Autorin: Kirsten Lange
Fotos (bis auf Header-Bild): Nicole Pfoser