Foto: Dagmar Haase

Dagmar Haase forscht mit ihrem Team an der Berliner Humboldt-Universität sowie am Leipziger Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung zu Fragen rund um Stadt- und Landschaftsökologie. Für den GaLaBau-Blog wirft sie einen Blick in die Zukunft der Stadt. Dabei zeigt sie auf, in welchen Städten der Welt die Vision einer grünen Stadt bereits umgesetzt wird, was Deutschland davon übernehmen könnte und welche wichtige Rolle GaLaBau-Betriebe dabei einnehmen.

Die Stadt der Zukunft ist vor allem: grün! 

Frau Professorin Haase, was sind aus Ihrer Sicht die größten Herausforderungen, wenn es darum geht, Städte zukunftsfähig zu machen?

Dagmar Haase: Bezogen auf mitteleuropäische Städte sehe ich Herausforderungen bei der zunehmenden Verdichtung, beim Verkehr im Hinblick auf den Klimawandel, bei der Frage nach Gesundheit und Wohlbefinden ihrer Bewohner*innen. Außerdem wird es zunehmend um mehr Gerechtigkeit gehen: bei der Verteilung von Wohnraum, beim Zugang zu Freiflächen, Grün, Wasser, Gärten und sauberer Luft. Bereits heute haben Atemwegserkrankungen wie Asthma enorm zugenommen. Zusätzlich werden die Menschen immer älter, und in den Städten nimmt die Einsamkeit zu.

Stadtklima

Bäume verbessern das Stadtklima, tragen zum Wohlbefinden der Bewohner*innen bei, fördern Naherholung und bieten Kleintieren Lebensräume. (Foto: Dagmar Haase)

„Ich hoffe, dass Städte in Zukunft Menschen wieder mehr zusammenbringen.“

Wie müsste die Stadt der Zukunft Ihrer Meinung nach aussehen?

Dagmar Haase: Eine Stadt der Zukunft braucht viele grüne Spots und Wasseranlagen. Grüne Dächer und Fassaden sind platzsparend und reinigen die Luft, mehrgeschossige Holzbauten sind im Kommen. Außerdem hoffe ich, dass Städte in Zukunft Menschen wieder mehr zusammenbringen. Denn eine Stadt ist nicht nur eine gebaute Umwelt, sondern vor allem eine gelebte Umwelt.

Menschen werden künftig öfter in Mehrgenerationenhäusern wohnen und arbeiten. Dabei könnten Kitas und Seniorenheime ebenso vernetzt werden wie Werkstätten und Bildungseinrichtungen. „Co“ wird immer wichtiger: Co-Working, Co-Creation, Co-Design, Co-Management. Wenn wir vorhandene Kräfte stärker bündeln, könnten wir den aktuellen Fliehkräften etwas entgegensetzen.

„Es wird zunehmend um mehr Gerechtigkeit gehen: bei der Verteilung von Wohnraum, beim Zugang zu Freiflächen, Grün, Wasser, Gärten und sauberer Luft.“

Stadt der Zukunft Leipzig

Laut Ranking der deutschen Städte verfügt Potsdam über die meisten Grünflächen pro Einwohner*in, gefolgt von Kassel und Bremen. Leipzig landet auf Platz 6. (Foto: Dagmar Haase)

Best-Practice-Beispiel nicht nur in Europa suchen

Sie arbeiten mit Ihrem Forschungsteam international. Welche Leuchtturmprojekte sind Ihnen dabei begegnet?

Dagmar Haase: Manchmal glauben wir in Europa schon sehr weit zu sein. Zwar stimmt das, doch haben uns andere längst überholt. Singapur etwa ist eine Megacity und gilt als biophile Stadt. Dort schaffen sogenannte Park Connectors überall Zugang zu Grün- und Parkanlagen. Obwohl die dortige Bevölkerung enorm schnell wächst, haben zugleich auch die Grünflächen pro Einwohner*in stark zugenommen. In Europa ist das nicht überall der Fall.

Nun lassen sich solche Konzepte nicht eins zu eins übertragen, denn wir haben individualistischere Gesellschaften und aufgrund unserer Staatsformen auch andere Verhandlungsprozesse. Trotzdem sollten wir uns alle wieder stärker für das Gemeinwohl interessieren. Ein anderes Beispiel ist Barcelona, früher eine schmutzige, überfüllte Stadt. Mit dem Konzept der Superilles, auch Superblocks, entstanden unter anderem in alten Industrievierteln verkehrsfreie Wohnblöcke mit Cafés und Grünflächen für Zusammenkünfte der Bewohner*innen. Auch in Leipzig wird gerade ein Superblock-Projekt angedacht. Zudem können Leipziger*innen Patenschaften für Bäume übernehmen, eine coole Idee! Denn mit der Aktion Baumstarke Stadt wird die Beziehung der Menschen zu ihrer Umgebung gestärkt.

In Wien werden Hinterhofgärten miteinander verbunden, indem die Zäune zwischen Grundstücken verschwinden. So entstehen größere Grünflächen mit Aufenthaltsräumen und Spielplätzen. Auch Kopenhagen mit einem fast 10.000 Quadratmeter großen begrünten Dach und vielen weiteren Gründächern finde ich ein herausragendes Beispiel. Europa ist schon sehr innovativ. Dennoch sollten wir immer wieder über unseren Tellerrand hinausblicken, um uns neue Inspirationen zu holen.

Buildings fields Singapore

Der Stadtstaat Singapur will eine „Stadt im Garten“ errichten. (Foto: creative common licence)

Vertikalgärten Wien

Vertikale Gärten am Hundertwasser-Haus in Wien. (Foto: Conny Frühauf)

Tiere und Pflanzen brauchen auch in Städten ungestörte Lebensräume

Die Stadt der Zukunft wird eine kompakte 15-Minuten-Stadt sein. Dann können Menschen mehr zu Fuß erledigen. Schon heute sind über 50 Prozent der Erwachsenen, aber auch viele Kinder, zu dick. Die Stadt der Zukunft braucht weniger Flächen für Verkehr, die Menschen wechseln zu öffentlichen Verkehrsmitteln und zum Fahrrad. Wo heute Parkplätze sind, könnten Bäume und kleine Grünflächen mit Bänken sein. Letztendlich wird es um ein gutes Miteinander gehen – von Mensch zu Mensch, von Natur zu Mensch und von Natur zu Natur. Denn Wildtiere brauchen auch in der Stadt Habitate.

Stadt der Zukunft Friedhof Leipzig

Friedhöfe, wie dieser in Leipzig, sind Oasen der Ruhe, bieten allen Menschen Erholung und Tieren oft ungestörte Lebensräume. Vermehrt weisen sie auch extensive Flächen auf. (Foto: Dagmar Haase)

„Wildtiere brauchen auch in der Stadt Habitate.“

Welche Ansätze sehen Sie bereits heute, um Städte zukunftssicher zu machen?

Dagmar Haase: Da ist zum einen der Ansatz der Smart City. Damit meine ich eine Stadt der Information. Alle Bewohner*innen sollten dazu gleichwertig Zugang haben. Aber Smart City meint auch beispielsweise die dezentrale Energieversorgung, bei der Menschen künftig selber entscheiden, woher sie ihre benötigte Energie beziehen, etwa von autarken Bürgerkraftwerken, Solar- oder Biogasanlagen. Dabei sind Bürger*innen gefordert, sich aktiv einzubringen, also auch im Sinne von Citizen Science ihr Wissen untereinander auszutauschen.

Citizen Science – was ist das?

Citizen Science beschreibt die Beteiligung der Zivilgesellschaft an wissenschaftlichen Prozessen. Dabei kann die Beteiligung in der Erhebung von Daten bis zu einem intensiven Einsatz von Freizeit bestehen, um sich gemeinsam mit Wissenschaftler*innen in ein Forschungsthema zu vertiefen.
(nach Was ist Citizen Science? | Bürger schaffen Wissen)

Grüne und blaue Infrastrukturen werden künftig immer wichtiger

Einen zweiten Ansatz bietet die biophile Stadt, bei der alles mit einer „grünen Patina“ überzogen ist. Hierbei ist die Natur in verschiedenen Formen untergebracht: grüne Dächer, grüne Fassaden, grüne Spots, grüne Balkone an fast allen Wohnungen. Die aktive Grünpflege von Gärten und Balkonen könnte vielleicht künftig in Mietverträgen aufgenommen werden.

Ein dritter Ansatz ist die Schwammstadt und betrifft den Umgang mit Wasser in Verbindung mit Grünkonzepten und modernen Technologien. Statt Böden überall zu versiegeln, kommen etwa Kies und Sand als poröse Elemente zum Einsatz. Denn sie bieten autochtone Versickerungsmöglichkeiten. Auch unterbrochene Steinplatten oder Rasengittersteine lassen Regenwasser versickern, wieder evaporieren und befördern so eine zirkuläre Wasserbewegung.      

Die biophile Stadt

Der Begriff Biophilie geht auf den Sozialpsychologen Erich Fromm zurück, der 1973 das Konzept der Biophilie als „die leidenschaftliche Liebe zum Leben und allem Lebendigen“ präsentierte. Aufgegriffen wurde das Konzept in den 1980er Jahren von Edward O. Wilson. Als Biologe fokussierte dieser sich dabei auf ein dem Menschen angeborenes Interesse oder dessen grundlegende Verbundenheit zur Natur und allen lebenden Dingen. In biophilen Städten erhält die Natur viel Raum, um eine enge Beziehung zu den Bewohner*innen zu ermöglichen. Dazu gehört auch die schnelle Erreichbarkeit dieser Naturräume. Professor Tim Beatley von der University of Virginia hat das Biophilic Cities Network gegründet, um dieses Ziel global voranzutreiben.

„Eine Stadt der Zukunft braucht viele grüne Spots und Wasseranlagen.“

Wasser und Grün Leipzig

Wasser und Grün: Beides bietet Städten viel Nutzen und zieht Menschen an. Denn allein der Anblick entspannt und hebt die Stimmung. (Foto: Dagmar Haase)

Einige dieser Ansätze sind ja bereits in der Umsetzung. Wie können sich GaLaBau-Betriebe dabei künftig noch besser aufstellen?

Dagmar Haase: GaLaBau-Betriebe verfügen bereits über sehr viel Wissen. Ich würde mir wünschen, dass sie dieses noch aktiver einbringen, dass sie zum Beispiel ihre Fachexpertise lautstärker in die Öffentlichkeit tragen, zumindest auf lokaler Ebene. Dabei ist auch die Politik gefordert. So könnten bei Bebauungsplänen Fachleute aus dem GaLaBau gleich an erster Stelle beteiligt werden statt erst am Ende der Planung. Landschaftsgärtner*innen sollten den Austausch mit Gartenbesitzer*innen und Stadtgemeinschaften suchen, etwa auch bei Fachmessen wie der GaLaBau.

Blühwiesen

Blühwiesen in Städten sind wertvolle Biodiversitätsflächen. (Foto: Dagmar Haase)

„Letztendlich wird es um ein gutes Miteinander gehen – von Mensch zu Mensch, von Natur zu Mensch und von Natur zu Natur.“

Zur Person

Dagmar Haase ist Professorin für Stadt- und Landschaftsökologie an der Humboldt Universität zu Berlin. Zudem ist sie Gastwissenschaftlerin am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig. Ihr Fokus liegt in der urbanen Systemanalyse. Mit ihrem Team untersucht sie urbane Ökosystemleistungen, grüne Infrastruktur und naturbasierte Lösungen in Städten. Gemeinsam forschen sie zu Biodiversität und urbaner Resilienz, nutzen dabei Felddaten, Fernerkundungsdaten, Geographische Informationssysteme und Citizen Science. Das Team arbeitet weltweit mit Wissenschaftler*innen zusammen an Fragen rund um Artenvielfalt, Biodiversitätsverlust, den Zustand von Ökosystemen sowie den Triebkräften, die sie verändern. Darüber hinaus forscht das Team zu Effekten des Klimawandels in Städten, vor allem in Bezug auf die Gesundheit von Mensch und Natur.

Linktipps:

Autorin: Conny Frühauf

25. GaLaBau: „25 Köpfe“

Gesichter und Geschichten zum 25. Jubiläum der Internationalen Leitmesse für Urbanes Grün und Freiräume

Vom 11. bis 14. September 2024 findet in Nürnberg unter unserer BGL-Schirmherrschaft die 25. GaLaBau-Messe statt – ein Jubiläum, auf das wir stolz sind! Deshalb begleiten wir diesen Anlass mit Geschichten und Beiträgen über Menschen, die diese Internationale Leitmesse der „grünen Branche“ geprägt haben oder ihre Zukunft (mit)gestalten werden. In „25 Köpfe“ kommen „Branchen-Promis“ ebenso zu Wort wie der berufliche Nachwuchs, Messe-Newcomer*innen und langjährige Weggefährt*innen. Wir schauen hier sowohl in die Vergangenheit der GaLaBau, als auch in die Zukunft – und natürlich geht es um Awards, Innovationen und Trendthemen. Die Reihe „25. GaLaBau – 25 Köpfe“ liefert in den kommenden Monaten bis zum Start der 25. GaLaBau 2024 regelmäßig neue Kurzvideos, Interviews im Verbandsmagazin und Blogbeiträge, Social-Media-Foto-Beiträge und Video-Interviews.

Carsten Peters2024-03-27T10:58:38+01:00
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