Stadtgrün, Klimaschutz, Artenvielfalt – wie grün soll die grüne Branche werden?
Interview mit Jörg-Andreas Krüger, Präsident des NABU (Naturschutzbundes Deutschland) e. V.

Foto: NABU/Klaus Wyczisk

Über die Herausforderungen von Umwelt- und Klimaschutz in den Städten sprach Jörg-Andreas Krüger, Präsident des NABU e. V., auf dem 14. Verbandskongress im September 2021 in Erfurt – und im Interview mit dem GaLaBau-Blog des BGL.

Ein gemeinsamer Flyer von NABU und BGL – das war für viele Landschaftsgärtnerinnen und Landschaftsgärtner vor zehn Jahren noch schwer vorstellbar. Jetzt gibt es ihn: „Bunte Gärten statt grauem Schotter. Wie Pflanzen unsere Gärten bereichern.“ erschien im Juni 2021 – und wird wegen der großen Nachfrage gerade wieder nachgedruckt.

„Natürlich müssen Funktionsflächen auch bebaut werden. Aber wie bekommen wir in guter Weise Naturnähe und Artenreichtum im Vorgarten und Garten untergebracht?“

Fuchs auf Friedhof in Berlin

Foto: NABU/Marc Scharping

Im BGL und bei seinen Mitgliedern erfreut sich der neue Flyer großer Beliebtheit.
Wie kommt das Faltblatt bei Ihren Mitgliedern an?

Jörg-Andreas Krüger: Sehr gut! Für uns ist das Thema eine Herzensangelegenheit. Bunter Vorgarten statt grauer Schotter – das ist vielen Menschen gerade ein Anliegen, da bewegt sich was. In jüngerer Vergangenheit nahm der Trend zum Schottergarten zu. Aber die Menschen haben gemerkt, alles ist verletzlich und hängt zusammen, auch die mediale Aufmerksamkeit für dieses Thema stieg. Ein lebendiges Umfeld ist Lebensqualität, davon brauchen wir mehr.

Natürlich müssen Funktionsflächen auch bebaut werden, aber wie bekommen wir in guter Weise Naturnähe und Artenreichtum im Vorgarten und Garten untergebracht? Was fühlt sich für mich als Gartenbesitzerin oder Gartenbesitzer gut und lebendig an? Wie viel Pflege will ich investieren? Auch das muss passen.

Wie läuft die Zusammenarbeit von NABU und den Landschaftsgärtnerinnen und -gärtnern aktuell?

Jörg-Andreas Krüger: Immer wieder fallbezogen und sehr praktisch vor Ort, da arbeiten wir bei Bedarf gern beratend mit den Betrieben zusammen. Zudem arbeiten wir zum Beispiel bei der FLL in Fachgremien zusammen, etwa im FLL Arbeitskreis „Bienenweide“.

Als ich angefangen habe als Präsident, haben wir im Haus überlegt: Wie und wo gibt es verbindende Themen mit den verschiedenen Partnern, auch mit den Landschaftsgärtnerinnen und -gärtnern? Siedlungsräume sind die großen, wichtigen Rückzugsgebiete für viele Arten. Heute sind die Städte artenreicher als viele Landschaften drumherum. Aber in diesen verdichteten, umkämpften Räumen müssen wir diese Rückzugsräume bewusst gestalten.

Der NABU wünscht sich im Umgang mit Natur, Pflanzen und Tieren mehr Wildnis statt Gestaltung von Menschenhand. Landschaftsgärtnerinnen und Landschaftsgärtner bauen und pflegen Gartenanlagen – für Privatkundschaft, bei öffentlichen und gewerblichen Projekten. Wo sehen Sie dabei Ansätze zu (mehr) Natur- und Artenschutz?

Projekt „Natur nah dran“ - Grüner Randstreifen

Foto: NABU/Anette Marquardt

„Es sollte überall mal eine wilde Ecke geben.“

Jörg-Andreas Krüger: Ich sehe da ganz klar mehr Gemeinsames als Trennendes.
Grünflächen, Naherholungsflächen und Parks, aber auch Gewerbeflächen und Straßenbegleitgrün können noch vielfältiger gestaltet werden. Und es sollte überall auch mal eine wilde Ecke geben. Nicht nur Ästhetik ist entscheidend, sondern auch die ökologische Funktion: Also zu den schön ausgebildeten Gräsern und Stauden, die der Frost weiß verzaubert, braucht es auch mal hochgewachsene Brennnesseln oder andere Wildpflanzen, die stehenbleiben dürfen. Die sehen dann vielleicht nicht immer schön aus, sind aber im Herbst und Winter als Rückzugsort und Nahrungsquelle überlebenswichtig für Insekten, ihre Larven und andere Tiere.

„Ich sehe da mehr Gemeinsames als Trennendes.“

Wildblumenwiese Regierungsviertel

Foto: NABU/Eric Neuling

Auf den ersten Blick scheinen ja Innenstädte und Natur- und Artenschutz nicht zusammenzupassen – oder doch?

Jörg-Andreas Krüger: Doch! Mitten in der versiegelten Innenstadt wächst und lebt zwar nicht viel, aber draußen im städtischen Umfeld, auf Brachen und angrenzenden Wiesen und in Gärten ist das anders. Zudem gibt es im Siedlungsraum ein abwechslungsreiches Nebeneinander und oft auch eine größere Vielfalt als draußen in der Landschaft. Das ist eine Chance! Welche Möglichkeiten für Naturschutz und Artenvielfalt es hier gibt, ist aber auch abhängig vom Dichtedruck auf besiedelte Flächen.

„Wir brauchen ganz klar die Kompetenz der Landschaftsgärtnerinnen und -gärtner, sowohl in der Planung und Beratung als auch in der Umsetzung im Detail.“

Foto: NABU/Marja_Rottleb

Brachen etwa haben in der Stadt eine wichtige Funktion für Klimaschutz und Artenvielfalt – nicht zuletzt als Versickerungsfläche, Wasserspeicher und Frischluftzufuhr zur Kühlung. In der Vergangenheit entstanden sie eher zufällig. Aber in der zunehmenden Nachverdichtung müssen wir solche Flächen bewusster mitplanen und ihre wichtige Funktion berücksichtigen. Und da brauchen wir ganz klar die Kompetenz der Landschaftsgärtnerinnen und Landschaftsgärtner, sowohl in der Planung als auch in der Umsetzung im Detail.

ARTENSCHUTZ IM GARTEN: WAS HAT DER KUNDE DAVON?

Welche Trends sehen Sie gesellschaftlich, von denen sowohl der Klima- und Artenschutz als auch der GaLaBau profitieren können? Anders gefragt: Was haben unsere Kundinnen und Kunden davon?

Jörg-Andreas Krüger: Mehr Schmetterlinge, mehr Vögel, mehr Bestäuber bedeuten auch mehr Blüten, mehr Früchte und gute Ernte. Das ist gelebter Arten- und Naturschutz. Mein Eindruck ist: Das ist ein gesellschaftlicher Trend, und immer mehr Menschen – auch Gartenbesitzerinnen und -besitzer – wollen ihn unterstützen.

Wir haben deutlich erlebt, wie in der Pandemie das Naturerlebnis in Garten und Balkon eine Sehnsucht und starkes Bedürfnis war und ist. Alle waren draußen.

Der Klimawandel zeigt zudem täglich, was es bedeutet, wenn Grünflächen fehlen: Dann fehlen neben Raum für Naherholung auch natürlicher Schatten und Kühlung, natürliche Versickerungsflächen und Wasserspeicher.

Distelfalter auf Balkon

Foto: NABU/Hanna_Pfäller

„Wir haben deutlich erlebt, wie in der Pandemie das Naturerlebnis in Garten und Balkon eine Sehnsucht und starkes Bedürfnis war und ist.“

Heute sind viele Menschen relativ weit weg vom Thema Garten, weil sie keinen eigenen haben. Jetzt rücken die Aspekte Nachhaltigkeit, Vielfalt und Artenschutz in den Fokus. Das fasziniert viele. Regelmäßig bekomme ich begeisterte Zuschriften, wie viele Schmetterlinge jemand gesehen hat, welche Vögel, was alles Besonderes gerade in der Nachbarschaft blüht und summt. Mit unseren Tipps für biologische Vielfalt in Gärten erreichen wir online viele Millionen Menschen. Zusätzlich gehen am NABU-Infotelefon übrigens jedes Jahr bis zu 30.000 Anrufe und Mails ein. Da fragen Menschen, wie sie Tieren helfen können, mit Nistplätzen und Nahrungsquellen im Garten, berichten von ihren Beobachtungen oder suchen Hilfe beim richtigen Umgang mit Pflanzen und Tieren.

Wenn es sich um attraktive Pflanzen und niedliche Tiere handelt, sind Menschen begeistert. Aber über verwilderte und ungepflegte Grünflächen in den Städten regen sich viele auf. Wie viel Natur braucht Stadtgrün?

Jörg-Andreas Krüger: Wir sagen, es muss so nah wie möglich an natürlichen Abläufen sein, dann ist das Ergebnis widerstandsfähig, vielfältig und klimatoleranter und kann Pflegekosten sparen. Auf kommunaler Ebene gibt es dazu schon gute Projekte.

Oftmals diskutieren wir über Fragen wie: Blumenwiese oder kurz gehaltener Rasen? Architektonische Baumgruppe oder Stauden-Gräser-Ensemble? Geplante wilde Ecken oder überall aufgeräumt? Muss der Weg unbedingt versiegelt sein? Da würden wir meist anders beraten. Aber wir wissen beim NABU auch: Entscheidend ist am Ende, was der Kunde oder die Kundin im eigenen Garten will und wo er oder sie mitgeht. Da ist dann einerseits weniger Wildes dabei, als wir es für richtig halten. Aber andererseits gibt es oft im Ergebnis mehr ökologische Aspekte als anfangs geplant waren. Deshalb ist mir wichtig, dass wir im Gespräch bleiben, Informationen austauschen, immer wieder diskutieren, auch kontrovers.

Kann die Stadtvegetation im Klimawandel allein mit heimischen Wildpflanzen funktionieren?

Was halten Sie von klimaresilienten Pflanzkonzepten, auch für öffentliches Grün? Braucht es aktive Eingriffe durch Pflanzenzüchtung und Landschaftsgärtnerinnen und -gärtner, auch in Form von nicht-heimischen Pflanzen? 

Jörg-Andreas Krüger: Außerhalb der Städte sprechen wir uns für heimische Pflanzen aus und so viel Natur wie möglich – und wir sagen klar, das muss mehr werden.

„Im Siedlungsbereich haben wir mehr Spielraum.“

Projekt Natur nah dran

Foto: NABU/Anette Marquardt

Aber in der Stadt gelten andere Voraussetzungen, die ein größeres Portfolio ermöglichen: Es muss standortgerecht und wirksam gegen die Auswirkungen des Klimawandels sein, wie das Aufheizen, Starkregen und Wassermangel im Sommer. Wie schaffen wir es einerseits, dass Bäume auch unter den extremen Bedingungen als Straßenbäume in der Stadt noch wachsen und wir sie dauerhaft gesund halten und andererseits Insekten und Vögeln weiterhin ein Nahrungsangebot haben? Da rücken auch Arten aus anderen europäischen Regionen, aber auch aus Asien und Nordamerika in den Fokus. Im Siedlungsbereich haben wir mehr Spielraum.

Wo liegen die großen Herausforderungen im Siedlungsbereich, vor allem in Bezug auf den Bausektor?

Jörg-Andreas Krüger: Wie stark verdichte und nachverdichte ich in den Siedlungsbereichen? Wenig (Nach-)Verdichtung außerhalb der Stadt, das ist gut mit Blick auf den Naturschutz in der Peripherie, weil ich dann dort nicht weitere Flächen versiegle. Aber wir brauchen einen besseren planerischen Umgang, der auch die Auswirkungen einbezieht: Kaltluft, Freiraum, Retention bei Starkregen, Naherholung, Lebensqualität. Die Natur braucht Platz. Nur wenn wir ihr diesen einräumen, können wir enorm davon profitieren. In Bezug auf das einzelne Objekt stellen sich dabei auch viele Fragen: Welche konstruktiven Lösungen gibt es? Brauchen wir mehr Dachbegrünung und vorgelagertes Fassadengrün, Spaliere, besondere Steinfarben, mehr umweltfreundliche Materialien, damit sich die Städte nicht so aufheizen und lebenswert bleiben?

Wie kann die grüne Branche in der Zukunft nachhaltiger werden – und warum sollte sie?

Jörg-Andreas Krüger: Wir alle müssen von unserem hohen Ressourcenverbrauch wegkommen, auch beim privaten und städtischen Grün. Da gibt es ja erste Initiativen in Ihrer Branche – aber die müssen nach meiner Erwartung mehr und entschiedener werden.

Beispiel Torf: „Torf gehört ins Moor und nicht in den Garten“ – diesen NABU-Flyer dazu gab es schon in den 1980ern. Leider bleibt die Forderung nicht nur bis heute aktuell, sondern wird sogar immer dringlicher. Denn die enormen Mengen von Torf, die wir bis heute verbrauchen, sind nicht zukunftsfähig. Weltweit wird versucht, CO2 einzusparen. Da kann es doch nicht zukunftsfähig sein, Torf auszubuddeln und damit weitere CO2-Quellen freizusetzen. Die erst kürzlich veröffentlichte Torfverzichtserklärung des BGL ist in diesem Zusammenhang sehr zu begrüßen.

Die Politik setzt hier auf Freiwilligkeit, aber das funktioniert aus unserer Sicht nicht. Da könnte die grüne Branche mit Expertise vorangehen, mit Alternativen und Beratung zu neuen, zeitgemäßen Konzepten – ohne Torf. Und das gilt natürlich auch für den Umgang mit anderen Ressourcen.

Arbeiten im Garten

Foto: NABU/Sebastian Hennigs

„Torf gehört ins Moor und nicht in den Garten!“

Zudem braucht das Thema Artenvielfalt noch größeres Gewicht in der Aus- und Fortbildung: Wie funktioniert Ökologie? Wie hängen Pflanzen und Tiere voneinander ab? Welche Expertise zum Pflanzenschutz ist künftig wichtig? Welche neuen, ökologischen Alternativen zu bisherigen Materialien und Stoffen gibt es? Wir wünschen uns da mehr Augenmerk auf ökologischer Vielfalt und einen schonenderen Umgang mit Ressourcen. Das geht bis tief in den Betrieb: Es braucht neue, ressourcenschonende Antriebe, die Umstellung der Fahrzeugflotte. Das betrifft alles, was wir tun.

Dieser Wandel kann dann gut gelingen, wenn die Branche sich Ziele setzt, sich miteinander berät und beraten lässt, die Betriebe unterstützt. Die Verbände können hier wertvolle beratende und koordinierende Arbeit leisten.

Damit es gelingt, braucht es fachlichen Austausch, den lebendigen, offenen Dialog, der Kritik zulässt, eine starke Aus- und Fortbildung – und ein gutes Netzwerk mit Partnerinnen und Partnern aus verschiedenen Fach- und Gesellschaftsbereichen.

Jörg-Andreas Krüger: Kurzprofil

Aktiver Natur- und Umweltschützer seit dem 12. Lebensjahr: Jörg-Andreas Krüger setzte sich zunächst als Mitglied der Naturschutzjugend und später Landesjugendsprecher des NABU Niedersachsen für diese Themen ein. Nach der Ausbildung zum Verwaltungsbeamten und erster Berufstätigkeit folgte ein Ingenieurstudium zum Landschaftsarchitekten. Von 2004 bis 2013 leitete Krüger den Fachbereich Naturschutz und Umweltpolitik in der NABU-Bundesgeschäftsstelle – und wechselte dann in den Fachbereich Biodiversität des WWF Deutschland, den er bis 2017 leitete. Ab 2017 verantwortete Krüger als Mitglied der WWF-Geschäftsleitung dessen Arbeiten zur Reduzierung des ökologischen Fußabdrucks.

Im November 2019 kehrte er zum NABU zurück und wurde dort zum Präsidenten gewählt. Er ist unter anderem Mitglied des Lenkungskreises Nationale Plattform Zukunft der Mobilität, Mitglied im Rat für Nachhaltige Entwicklung – und war Mitglied der Zukunftskommission Landwirtschaft.

Jörg-Andreas Krüger

Foto: NABU/Frank Müller

Weiterführende Links:

Carsten Peters2023-12-22T10:36:53+01:00
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