„Macht die Gärten wilder!“: Gartengestaltung mit Wildpflanzen

Der Echte Alant ist eine alte Heilpflanze und wird auch in öffentlichen Parkanlagen gerne verwendet. (Foto: Christine Volm)

Essbare Wildpflanzen fördern nicht nur die Artenvielfalt, sondern auch die menschliche Gesundheit. Im Interview verrät die Gartenbauwissenschaftlerin und Botanikerin Dr. Christine Volm, warum Biodiversität, Gesundheit und Genuss für sie untrennbar zusammengehören. Und wie GaLaBau-Betriebe Nutzen und Ästhetik zusammenbringen können.

Sie sind in einem Garten- und Landschaftsbau-Betrieb mit Gärtnerei großgeworden, waren also von klein auf von Zierpflanzen umgeben. Wie kamen Sie da zu den Wildpflanzen?

Christine Volm: Die Gärtnerei hatten meine Eltern von zwei älteren Gärtnerinnen gepachtet, die auf demselben Gelände auch wohnten. Ich hatte das Glück, oft Zeit mit ihnen in ihrem Garten verbringen zu können. Zudem besaßen sie viel ursprüngliches Pflanzenwissen. Meine erste, bewusst wahrgenommene Pflanze war der Persische Ehrenpreis. Da wollte ich wissen, woher er kommt und wofür er gut ist. Hierzu konnten die beiden wunderbare Geschichten zu Pflanzen, ihrer Verwendung und Heilwirkung erzählen. In „unserem" Garten durften auch Brennnesseln wachsen, die wurden dann einfach mit dem Spinat gekocht.

Wildpflanzen finden auch im Staudenbeet ihren Platz – hier die Malve. (Foto: Christine Volm)

„Wildpflanzen sind unsere heimische Vegetation.“

Eine zeitgemäße Gartenästhetik integriert Wildpflanzen

Viele sehen in Brennnesseln lediglich Unkraut, das man im Garten oder Park nicht haben möchte. Wie unterscheiden Sie Unkraut und Wildpflanze?

Christine Volm: Jede Pflanze kann „Unkraut“ sein, wenn sie sich da ausbreitet, wo man sie nicht haben will. Aber Unkraut bedeutet nicht, dass die Pflanze keinen Wert besitzt. Insofern gibt es die Definition „Unkraut“ streng genommen nicht. Wildpflanzen sind unsere heimische Vegetation. Alles, was gezüchtet oder aus anderen Ländern importiert wird, bezeichnen wir als Zierpflanzen und was wir in Kultur nehmen, als Nutzpflanzen. Ich bin mit dem Zeitgeist der 1970er Jahre aufgewachsen: Da mussten Gärten ordentlich aussehen. „Unkraut“ musste bekämpft werden. Trotzdem gab im Garten meiner Kindheit viel ursprüngliche Natur.

Während meines Studiums habe ich mich unter anderem mit biologischem Weinbau befasst. Dabei ging es beispielsweise auch um die Reduzierung der Bodenerosion durch Begrünung der Flächen, was gleichzeitig eine Möglichkeit zum Erhalt der Artenvielfalt sein kann. Kulturanbau und Biodiversität schließen sich also nicht aus. Anfangs fragte ich mich, warum wir uns in den Gartenbauwissenschaften mit Unkraut befassen. Bis ich verstand, dass es in der Botanik um heimische Pflanzen, also unsere natürliche Vegetation, geht. Was wir als Unkraut bezeichnen, hängt also von der gärtnerischen Zielsetzung ab.

Wildpflanzen sind die Basis unseres Ökosystems!

Welchen Nutzen können Wildpflanzen in Privatgärten oder Grünanlagen haben?

Zum einen leisten sie natürlich einen wichtigen Beitrag zum Artenschutz. Unsere Natur ist ein komplexes Ökosystem, das nur funktioniert, wenn alle Teile vorhanden sind. Deshalb setzt Insektenschutz immer den Schutz der Pflanzen voraus. Denn nahezu jeder Falter, jede Schwebfliege, jede Biene braucht irgendeine Pflanze – sei es als Nahrungsquelle oder Brutstätte. Wenn wir also unser Ökosystem erhalten wollen, müssen wir Lebensräume für Wildpflanzen schaffen.

Essbare Wildpflanzen: schön, lecker und gesund

Zum anderen sind viele Wildpflanzen nicht nur essbar, sondern obendrein auch gesund. Wer beispielsweise unter Nährstoffmangel, etwa Vitamin C oder Eisen, leidet, kann diesen durch den Verzehr von Wildpflanzen relativ einfach beheben. Aus eigener Erfahrung habe ich den gesundheitlichen Wert von Wildpflanzen zu schätzen gelernt: Als ich vor etwa 18 Jahren gesundheitliche Probleme hatte, stellte ich meine Ernährung auf Rohkost mit Wildpflanzen um. Weil mir das geholfen hat, habe ich das Thema zu meinem Schwerpunkt gemacht.

„Viele Wildpflanzen sind nicht nur essbar, sondern obendrein gesund.“

Foto: Christine Volm

„Macht die Gärten wilder!“

GaLaBau-Betriebe planen und gestalten Gärten. Wie können sie Wildpflanzen dabei nutzbringend und zugleich ästhetisch anspruchsvoll integrieren?

Christine Volm: Landschaftsgärtnerinnen und Landschaftsgärtner haben ein großes Pflanzenwissen. Allerdings hört das bei der heimischen Vegetation oft auf. In meine Seminare kommen zunehmend junge Fachleute aus dem GaLaBau, die sich dieses Wissen gezielt aneignen möchten, weil die Kundschaft immer häufiger danach fragt.

Bei der Gestaltung mit Wildpflanzen liegen wir im internationalen Vergleich in Deutschland zurück. Solche Gärten waren in England schon vor mehr als 15 Jahren bei der Chelsea Flower Show zu sehen. Denn Gärten lassen sich mit Wildpflanzen genauso ästhetisch anspruchsvoll gestalten wie mit nicht heimischen Zierpflanzen.

Ein Holunder an der richtigen Stelle ist wunderbar. Die Vögel lieben die Beeren und auch wir können sie durch Kochen ungiftig und damit genießbar machen. Zudem liefern sie wertvolles Vitamin C. Auch der Weißdorn ist ein herrliches Wild- und Vogelnährgehölz mit toller Blüte und leuchtend roten Beeren im Herbst. Wenn er in einer Baumschule gezogen wird, kann er sogar unterschiedliche Wuchsformen haben. Außerdem sieht er hinreißend aus.

Gartengestaltung mit Wildpflanzen gehört in die Hände von Gartenprofis

Allerdings sollte man wissen, welche Pflanzen an welchen Standorten gedeihen. Deshalb gehört die Planung mit Wildpflanzen und Zierpflanzen in die Hände von Gartenprofis, die beide ins richtige Lot bringen. Damit zum Beispiel eine Brennnessel gut in den Garten integriert wird, muss sie eigentlich wie Bambus behandelt werden. Denn ohne Rhizomsperre wuchern die Ausläufer ihrer dichten Wurzelnetze schnell alles zu.

„Bei der Gestaltung mit Wildpflanzen liegen wir im internationalen Vergleich in Deutschland zurück.“

Einjähriges Silberblatt

„Macht die Gärten wilder!“ appelliert Christine Volm an Menschen mit Garten und GaLaBau-Fachleute. Denn Wildpflanzen bringen Naturnähe in Gärten – und tauchen dort manchmal von ganz allein auf. (Foto: Christine Volm)

Welchen Umgang mit Wildpflanzen wünschen Sie sich?

Gerade blühen hier überall Wiesen-Salbei und Breitblättriger Thymian. Ich finde es schade, dass immer noch zu viel gemäht wird. Würde man beide wachsen lassen, könnten wir uns an einer Woge in Rosa und Blau erfreuen. Und der Wiesen-Kümmel würde noch als weißer Weichzeichner dazwischen auftauchen, bevor das Echte Labkraut und der Natternkopf in Gelb und Blau übernehmen. Gerade für öffentliche Grünanlagen könnte die Pflanzenverwendung neu gedacht werden. Es braucht eine gute Balance zwischen Machen und Nicht-Machen. Damit Flächen nicht verbuschen, müssen sie nur einmal im Jahr gemäht werden. So könnten sich auch selten gewordene Arten wie der Wiesen-Kümmel immer wieder aussäen. In Privatgärten gibt es zunehmend den Wunsch nach mehr Naturnähe, auch weil dies als weniger pflegeintensiv gilt. Doch auch ein Wildpflanzengarten braucht Struktur. GaLaBau-Betriebe könnten vor allem Wildgehölze und -stauden gezielt in den Blick nehmen.

Süßdolde

Süßdolde (Foto: Maximilian Ludwig)

„Ich selbst arbeite gerne mit Pflanzen, die einerseits gestalterisch interessant, andererseits gefährdet sind – wie etwa die Süßdolde.“

Zur Gartengestaltung geeignete Wildpflanzen (Auswahl)

  • Wildrosen-Arten
  • Kornelkirsche
  • Felsenbirne
  • Weißdorn
  • Wilde Malve, Rosen-Malve, Moschus-Malve
  • Süßdolde
  • Wilde Möhre
  • Dost
  • Wiesen-Bocksbart
  • Gundermann (Bodendecker)
  • kriechender Günsel (Bodendecker)
  • Waldmeister (Bodendecker)
  • Wald-Erdbeere
  • Wiesen-Salbei
  • Thymian-Arten
  • Ziest-Arten
  • Braunellen
  • Beinwell
  • Lungenkraut
  • Teufelskrallen in Arten

Wildpflanzen statt Schottergarten: Jeder Quadratmeter zählt!

In Berlin haben wir in einer Straße mit vielen zugeschotterten Flächen einen Vorgarten in einen Wildpflanzengarten umgewandelt. Felsenbirne, Kornelkirsche, Himbeeren, Waldmeister, Gundermann, Dost, ein paar Wald-Erdbeeren: Das sieht schön, naturnah und liebevoll aus und ist auch noch mit Genuss verbunden. Für mich sind Schotterwüsten oft ein Ausdruck von Hilflosigkeit. Die Menschen wollen es heute pflegeleicht, aber es fehlt oft die Fantasie. Sie brauchen Anregungen, Impulse. Dabei dürfen GaLaBau-Betriebe treibende Kraft sein, denn sie können naturnahe, wildere Vorzeigegärten schaffen und so zeigen, was alles geht.

Zur Person:

Dr. Christine Volm ist Gartenbauwissenschaftlerin, Botanikerin, Ernährungsberaterin für Rohkost mit Wildpflanzen und Autorin. Nach Studium und Promotion an der TU München in Weihenstephan lehrte sie dort bis 1996 Freilandpflanzenkunde, Pflanzenverwendung, Ingenieurbiologie, Botanik und Systematik. Seit 1997 ist sie freiberuflich in ihrem Planungs- und Ingenieurbüro in Sindelfingen tätig. Schwerpunkte: Innenraumbegrünungen, seit 2005 essbare Wildpflanzen und Wildpflanzen-Botanik. Sie gibt Seminare an Bildungseinrichtungen für den Garten- und Landschaftsbau, Architektenkammern und Universitäten. Zudem bietet sie Exkursionen, Jahreskurse, Gartenberatungen für Wildpflanzengärten und Ernährungsberatung an.

Foto: Maximilian Ludwig

Links:

www.christine-volm.de
www.wildundroh.de

Autorin: Conny Frühauf

Carsten Peters2023-10-24T10:55:27+02:00
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