Die moderne Stadtplanung muss klimaorientiert sein. Die Forschung liefert bereits Lösungsansätze und konkrete Handlungsoptionen. Welche das sind und warum grüne und blaue Infrastrukturen dabei eine wichtige Rolle spielen, erläutert Simone Linke, Professorin für Stadtplanung und Landschaft an der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf (HSWT), im Interview. 

Frau Professorin Linke, wo steht Deutschland bei der Umsetzung einer klimaorientierten Stadtplanung?

Simone Linke: Noch klaffen Theorie und Praxis weit auseinander. Dabei besitzt die Forschung bereits viel Wissen darüber, wie Städte klimaorientiert gestaltet und an die sich verändernden Klimabedingungen mit Extremwetterereignissen angepasst werden können. Doch in der Praxis sind wir noch nicht da, wo wir sein müssten. Einerseits werden diese Aspekte in der Planung nicht immer ausreichend berücksichtigt, andererseits geschieht die Umsetzung oft zu langsam.

„Bis heute haben wir die große Mobilitätswende nicht geschafft.“

fiktives klimaresilientes Münchener Neubauquartier 2040

Projekt „Grüne Stadt der Zukunft“: fiktives klimaresilientes Münchener Neubauquartier 2040.

Grüne Vernetzungen mitdenken!

Welche Gründe sehen Sie für diese Umsetzungslücke? 

Simone Linke: Noch immer haben wir zu viel Bürokratie. Zudem ist das Themenfeld komplex. Klimaschutz, Klimaanpassung, Biodiversität – all das muss bei der Stadtentwicklung berücksichtigt werden. Dadurch werden die Abstimmungsprozesse unter den Expert*innen komplizierter und langwieriger. Auch entstehen teilweise Zielkonflikte. Beispielsweise müssten in Städten mehr Wohnungen gebaut werden. Das erfordert Bauflächen und zusätzliche Grünflächen für künftige Bewohner*innen. Doch noch immer sind zu viele Flächen für den Verkehr bestimmt. Also muss hier verhandelt werden. Außerdem können technische Herausforderungen auftauchen, etwa wenn Stadtplätze begrünt werden sollen, deren Untergrund komplett verbaut ist. Da kann es dauern, bis Lösungen gefunden sind.

Fassadengrün und Fahrradstationen

Fassadengrün und Fahrradstationen: Paris will eine der grünsten Städte Europas werden. (Foto: Conny Frühauf)

„Solche Veränderungen sind anfangs meist schwierig.“

Europäische Leuchtturmprojekte als Vorbild

Städte wie Wien, Kopenhagen, Amsterdam oder auch Paris zeigen, wie eine klimaorientierte Stadtplanung binnen kurzer Zeit umgesetzt werden kann. Was läuft dort anders?

Simone Linke: In Deutschland existieren viele unterschiedliche Regelwerke, die bei den Planungen berücksichtigt werden müssen. Zudem ist der Verkehr eine riesige Herausforderung. Mobilität erweist sich oft als Hindernis bei der Planung grüner, klimaangepasster Stadtquartiere. Bis heute haben wir die große Mobilitätswende nicht geschafft. In den Niederlanden geht man anders mit dem Fahrradverkehr um. Zuletzt hat sogar Paris dem Fahrradverkehr ganze Straßen gewidmet. Solche Veränderungen sind anfangs meist schwierig. Aber langfristig sehen die Menschen, dass sie ihnen und der Stadt guttun. Bei uns werden seit Jahren viele kleine Ideen und Lösungen umgesetzt, die auch wichtig sind. Denn bis zum großen Wurf vergeht zu viel Zeit und die haben wir nicht mehr. Nehmen wir das Beispiel Kopenhagen: Nach dem Starkregenereignis 2011 wurde der „Wolkenbruchplan“ erstellt und mit großem Engagement umgesetzt. Vielleicht fehlt in Deutschland manchmal der Mut, sich an großen Leitbildern zu orientieren. Immerhin haben wir seit Juli 2024 ein Klimaanpassungsgesetz, wonach nun jede Kommune ein entsprechendes Konzept erstellen muss. Doch dafür sind noch mehr Fachexpertise, Geld und Mitarbeiter*innen nötig.

Foto 1 und 2: Conny Frühauf; Foto 3 und 4: Simone Linke

Schwammstadt-Prinzip ist eine langfristige Aufgabe

Kopenhagens „Wolkenbruchplan“

Im Sommer 2011 setzten wolkenbruchartige Regenfälle die dänische Hauptstadt unter Wasser – mit verheerenden Folgen. Das Jahrtausendereignis führte zu einem schnellen Umdenken und Handeln: Noch im selben Jahr arbeitete die städtische Abteilung für Klimaanpassung den „Wolkenbruchplan“ aus und verwandelte Kopenhagen Schritt für Schritt in eine Schwammstadt.

„Anstatt abzureißen und neu zu bauen wird inzwischen öfter der alte Gebäudebestand saniert und das Quartier weiterentwickelt.“

Münchener Innenhof

Projekt „Grüne Stadt der Zukunft“: In einer Workshopreihe verständigten sich Anwohner*innen und der Eigentümer eines Münchener Innenhofs auf ein gemeinsames erstrebenswertes Zukunftsbild.

Wo sehen Sie Transformationspotenzial? 

Simone Linke: Im Umgang mit Bestandsquartieren findet erfreulicherweise ein Umdenken statt: Anstatt abzureißen und neu zu bauen wird inzwischen öfter der alte Gebäudebestand saniert und das Quartier weiterentwickelt. Das erhält auch den Grünbestand und die fürs Klima so wichtigen Altbäume. Wo eine Nachverdichtung im Bestand möglich ist, etwa durch Aufstockung von Gebäuden, lassen sich auch Gründächer, Fassadengrün und Artenschutz mitdenken. Zudem bieten versiegelte Innenhöfe viel Potenzial: Parkplätze könnten mithilfe vermehrter Carsharing-Angebote reduziert und so Platz für Grünflächen geschaffen werden. Diese werden im Übrigen auch für Frischluftschneisen benötigt.

Welche Praxislösungen können Sie aus Sicht Ihrer Forschung benennen?

Simone Linke: Es existieren bereits viele Lösungsansätze und Handlungsoptionen zum Thema Klimaanpassung. Da die langfristigen Klimaleistungen von Bäumen inzwischen bekannt sind, kann das Kostenargument hier nicht mehr ausgespielt werden. Zukünftig werden KI-Anwendungen und digitale Tools Planungen beschleunigen.

Künstliche Intelligenz könnte die Umsetzung beschleunigen

So setzt etwa die Stadt München bereits digitale urbane Zwillinge ein. Das sind digitale Abbilder, in der Regel 3D-Modelle einer Stadt, in die sich viele Informationen integrieren lassen, etwa zum Grünbestand oder zum Alter von Gebäuden. Sie ermöglichen bei der Planung einen schnellen Überblick. Damit sind auch Modellierungen von Maßnahmen zum Klimaschutz oder Klimaanpassungen durchführbar, die sich an den räumlichen und sozialen Gegebenheiten des jeweiligen Quartiers ausrichten. Natürlich planen auch weiterhin Menschen für Menschen. Aber die Vernetzungen werden immer komplexer. Schließlich gilt es auch, die Bürger*innen mit einzubeziehen: durch Baumpatenschaften oder Hochbeetanlagen etwa. Nicht alles kann auf die Stadtverwaltung abgeschoben werden. Wir haben alle Transformationsverantwortung!      

Regensburg: Abkühlung

Bäume, Hochbeete, Wasserflächen, menschenzentrierte Mobilität verbessern das Stadtklima und sorgen für mehr Aufenthaltsqualität. (Foto: Simone Linke)

„Da kommen ständig neue Materialien und Forschungsergebnisse auf den Markt.“

Fachwissen immer auf dem neuesten Stand halten

Welche Rolle können GaLaBau-Betriebe im Hinblick auf die Umsetzung klimaangepasster Stadtentwicklung einnehmen?

Simone Linke: GaLaBau-Betriebe sollten bei diesem komplexen, hochdynamischen Themenfeld ihr Wissen immer aktuell halten. Denn ihnen kommt bei der Umsetzung in die Praxis eine wichtige Rolle zu. Im Hinblick auf das Schwammstadt-Prinzip etwa müssen Baumrigolen angelegt oder Beläge gewählt werden, die mit Starkregenereignissen zurechtkommen und Wasser versickern lassen. Da kommen ständig neue Materialien und Forschungsergebnisse auf den Markt. Auch der Baumschutz wird zunehmend wichtiger. Deshalb sollte sich jeder GaLaBau-Betrieb heute mit einer wassersensiblen Stadtentwicklung auseinandersetzen und überlegen, wie er auf dem Weg dorthin in seinem Wirkungsfeld unterstützen kann. Dabei lohnt es sich, öfter einmal neue Wege auszuprobieren.

Simone Linke

Zur Person

Simone Linke ist seit 2023 Professorin für Stadtplanung und Landschaft an der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf (HSWT). Sie lehrt und forscht zu Stadt- und Freiraumplanung. Ein Schwerpunkt ist die stärkere Integration von Klimaorientierung in ihr Fachgebiet. Simone Linke hat Landschaftsarchitektur an der HSWT studiert und anschließend ein Masterstudium in Urban Design an der Technischen Universität Berlin absolviert. Danach kehrte sie an die Fakultät Landschaftsarchitektur der HSWT zurück, wo sie den Schwerpunkt Stadtplanung als Studiengangingenieurin unterstützte. Von 2014 bis 2023 war sie in einem Planungsbüro tätig und als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Technischen Universität München, Lehrstuhl für energieeffizientes und nachhaltiges Bauen.

Foto: HSWT/Josef Ganghofer

Weiterführende Links:

Autorin: Conny Frühauf

Alle Grafiken: IÖW/Volker Haese

Carsten Peters2024-11-15T09:32:25+01:00
Nach oben