BOLLWERK BAUM: Interview Bernhard von Ehren
Bernhard von Ehren ist Experte für das Verpflanzen großer, reifer Bäume. Der Geschäftsführer der Baumschule Lorenz von Ehren in Hamburg stattet mit seinem Betrieb den BGL-Messestand mit prächtigen alten Exemplaren aus, die bis zu acht Meter hoch sind. Wir haben mit von Ehren über den Auftritt der Baumpersönlichkeiten, die Vorbereitungen und seine Vorstellungen von zukunftsfähigen Bäumen gesprochen.
Sie schicken große Bäume auf Reisen. Dazu braucht es viel Fachwissen. Was tun Sie, damit es diesen Bäumen während ihres Gastauftritts gut geht?
Von Ehren: Die meisten Bäume schicken wir im Container oder einzeln in Juteballen, die bereits ab dem Frühjahr im Air-Pot für den Transport im August vorbereitet wurden. Der älteste Baum ist eine Parrotia persica, ein Eisenholzbaum, er ist über 70 Jahre alt und ganz knorrig. Eine Woche vor der Verladung präparieren wir die Pflanzen und etwa eine Woche brauchen wir für den Aufbau. Da es sofort Interessierte gab, können sie mit Glück im Anschluss an die Messe an ihren neuen Standort.
Ihre Spezialität sind besonders reife Gewächse, also Bäume einer gewissen Größe. Die brauchen oft mehrere Jahrzehnte Vorlaufzeit. Wie planen Sie das?
Von Ehren: Normalerweise planen Unternehmen für vier bis fünf Jahre in die Zukunft. Bei Bäumen und Gehölzen haben wir einen anderen Zeithorizont, so planen wir bis zu 20 Jahre nach vorne. Wir liegen bei unseren Voraussagen im Schnitt zu über 90 Prozent richtig. Ein Trend setzt sich leider seit über zehn Jahren durch: Buxus, Esche und Kastanie leiden durch den Klimawandel unter Schädlingen. Was uns ebenfalls einholt, sind die teils dramatischen Wetterereignisse, wie Trockenheit, Hitze oder Starkregen.
Fokussierung auf Klimagewächse
Ihr Betrieb ist aus der Zertifizierungsgemeinschaft gebietseigener Gehölze (ZgG) ausgestiegen. Das Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) schreibt den Einsatz gebietsheimischer Gehölze für die freie Natur zwingend vor. Stellen Sie die Weichen jetzt anders?
Von Ehren: Wir sind da ausgestiegen, weil ich diesen Ansatz nicht für zukunftsfähig halte. Der Pflanzenbedarf ist europaweit hoch, im Gegensatz dazu sinkt die Produktion tendenziell. Zudem müssen wir uns mit dem Klimawandel auseinandersetzen, eine absolut drängende Herausforderung.
„Heimische Eiche, Erle, Esche, Birke sollten nicht an Stressstandorten gepflanzt werden. Damit tut man Pflanze und Mensch nichts Gutes.“
In Privatgärten und anderen Projekten im urbanen Bereich spielt das Thema gebietseigene Gehölze eine untergeordnete Rolle. Auch wenn einige Untere Naturschutzbehörden versuchen, dieses Gesetz auch in der Stadt umzusetzen, geschieht dies immer auf die Gefahr hin, dass gebietsheimische Pflanzen in diesem extremen Lebensraum nicht überleben. Heimische Eiche, Erle, Esche, Birke sollten nicht an Stressstandorten gepflanzt werden. Damit tut man Pflanze und Mensch nichts Gutes.
Es gibt eine gemeinsame Empfehlungsliste der Zukunftsbäume vom Bund deutscher Baumschulen und der deutschen Gartenamtsleiterkonferenz. Auch über sie können Phyto-Schädlinge oder Erreger eingeschleppt werden, die neue Probleme verursachen. Können Sie uns dazu mehr erzählen?
Von Ehren: Diese sogenannten Stadtbäume der Zukunft oder Klimabäume haben wir schon lange in der Baumschule. Einige robuste Pflanzen kennen wir über Jahrzehnte und wissen, welche Stressfaktoren ihnen zu schaffen machen. Die Erreger wandern von Breitengrad zu Breitengrad: Pilze, Viren, Insekten – und der Baum kann nicht weglaufen. Wir sind im regen Austausch im Netzwerk, mit Universitäten und Pflanzenschutzdiensten. Wir unterhalten uns auch mit Fachleuten auf anderen Kontinenten. Die Natur ist immer im Wandel; wir sollten auf der Hut sein, aber keine Panik verbreiten.
„Mit unterschiedlichen Bäumen kann man auch das Thema Biodiversität fördern und Vielfalt in die Stadt bringen.“
Statt der Stiel-Eiche (Quercus robur) bietet sich die Zerr-Eiche (Quercus cerris) an, für die heimische Birke die Himalaya-Birke (Betula utilis). Ein Baum wie die Esche fällt wegen des Eschentriebsterbens eigentlich ganz aus. Alternativ bieten sich hier fremdländische Arten an. Es gibt auch Situationen, in denen man sich komplett umorientieren und bereits auf Gattungsebene ansetzen muss. Beispielsweise ist es heute sinnlos, noch Kastanien zu pflanzen.
Für mich ist die Linde ein Baum mit vielen positiven Eigenschaften, wie die Kaiser-Linde (Tilia europaea 'Pallida') oder die Silber-Linde (Tilia europaea 'Brabant'). Weitere können z. B. sein: der Amberbaum (Liquidambar styraciflua) oder der Tulpenbaum (Liriodendron tulipifera). Ein würdiger Ersatz für heimische Pflanzen unter Klimawandelstress sind auch der amerikanische Rot-Ahorn (Acer rubrum) oder die Hopfenbuche (Ostrya carpinifolia). Gut geeignet für Extremstandorte ist der Ginkgo. Er wird ebenfalls relativ groß, ist sehr gesund, hat eine tolle Herbstfärbung und ist eigentlich frei von Krankheiten. Dazu gibt es ihn bereits Millionen von Jahren, er hat also Durchhaltevermögen. Mit unterschiedlichen Bäumen kann man auch das Thema Biodiversität fördern und Vielfalt in die Stadt bringen.
Große Bäume leisten mehr
Ist es sinnvoll, reifere Bäume zu pflanzen, oder besser jüngere, die sich vor Ort anpassen können? Vielleicht möchten die Menschen den Baum wachsen sehen.
„Es braucht so viel, damit es ein kleiner Baum schafft, in der Stadt groß zu werden.“
Von Ehren: Selbstverständlich gilt hier: Je größer, desto besser. In Frankreich, England und auch Osteuropa werden gerne und erfolgreich große Bäume gepflanzt. Ein neugebautes fünfstöckiges Haus wirkt mit einem großen Baum deutlich vollständiger. Zudem leistet der große Baum mehr für seine Umgebung als ein junger. Er spendet viel mehr Schatten, bindet viel mehr Kohlendioxid und funktioniert als Lebensraum und Nahrungslieferant für Insekten und größere Tiere. Das wiederum wirkt sich positiv auf das Lebensgefühl der Bürger aus. Was ein 30 bis 35 Jahre alter Baum bietet, kann man mit einem jungen gar nicht vergleichen.
Es braucht so viel, damit es ein kleiner Baum schafft, in der Stadt groß zu werden. Er wird von Anfang an im Wachstum gehemmt. Schon deshalb hat ein gesunder großer Baum bessere Chancen. Wir verschulen unsere Bäume alle vier Jahre, genauso oft bilden sie neue Faserwurzeln. Ein großer Baum von uns ist bis zu achtmal verschult, der hat ein starkes und stabiles Wurzelwerk.
Auf die richtige Pflege nach der Pflanzung weisen Sie gerne hin. Wie sieht sie aus?
Von Ehren: Es beginnt mit dem richtigen Substrat in einem ausreichend großen Wurzelraum, der mehr als 2 bis 3 Jahre gepflegt werden muss. Man sollte die Bäume beobachten und auch, wie sich die Länge der Sommer entwickelt, ob es eine Dürre gibt. Zu oft wird nur laut Ausschreibung gehandelt, dann sieht man an den Straßenrändern die toten Bäume. Das tut mir in der Seele weh. Ich empfehle, gleich in der Planung ein variables und auch höheres Pflegebudget für das Stadtgrün einzubinden.
Im Privatgarten mit gartenaffinen Menschen sieht es anders aus, hier gedeihen durchaus auch Bäume, die Schwierigkeiten mit dem Klimawandel haben. Dennoch: Nach einer Starthilfe sollten Bäume allein über die Runden kommen, wenn der Standort stimmt.
Mehr Grün in Städte und Gewerbegebiete
„Der wahnsinnig kostbare Raum der Stadt wird oft wenig sinnvoll genutzt. Man wird mehr mit Grün arbeiten müssen, auch auf den Dachflächen, damit Menschen sich in dem Kontext wohlfühlen.“
Für Sie sind Stadtökologie und die richtige Pflanzenwahl ein Herzensthema…
Von Ehren: Der wahnsinnig kostbare Raum der Stadt wird oft wenig sinnvoll genutzt. Man wird mehr mit Grün arbeiten müssen, auch auf den Dachflächen, damit Menschen sich in dem Kontext wohlfühlen. In Paris müssen Dächer energetisch oder ökologisch genutzt werden, hier sind sie häufig grau oder schwarz.
Wie wird das beim Bunker St. Pauli in Hamburg aussehen, den Sie mit Ihrem Betrieb bepflanzen?
Von Ehren: Ich bin sehr glücklich, dieses Leuchtturmprojekt in unserer Heimatstadt Hamburg zu haben. Wir pflanzen auf dem Bunker Apfelbäume, Kiefern, diverse Sträucher und Solitäre wie z. B. Acer campestre (Feld-Ahorn).
Die Substratschicht ist nach Stockwerk und Pflanzengröße unterschiedlich dick, mit maximal 80 bis 100 Zentimetern Deckung. Daran kann sich die Natur anpassen. In London zum Beispiel wachsen riesige Eichen auf Tiefgaragen bei einer Substratdecke von 90 Zentimetern. Es ist ein komplett künstlicher Lebensraum, hier muss ein Gärtner einen guten Job machen. Regen allein reicht zur Versorgung nicht aus. Wir können nicht einhundertprozentig sagen, wie sich die Anlage auf dem Bunker verhalten wird; es ist ein bisschen so, als ob man in eine Glaskugel guckt.
„Wir müssen auch Gewerbegebiete neu denken, die Verdichtung ist in der Regel hoch, sie sind grau und furchtbar, ohne viel ökologischen Nutzen.“
Sie legen großen Wert auf Studien und sind an einem Projekt in einem Gewerbegebiet in der Nordheide bei Buchholz beteiligt: Dort wachsen 126 verschiedene Klimabäume aus Ihrem Betrieb, wie Sumpfeichen, Sommerlinden, Platanen, Ginkgo und Blasen-Eschen. Die Hochschule Osnabrück erforscht, wie gut sie sich als Stadtbäume eignen und wie erfolgreich neue Wurzelkammersysteme sind. Bitte erzählen Sie uns mehr!
Von Ehren: Wir müssen auch Gewerbegebiete neu denken, die Verdichtung ist in der Regel hoch, sie sind grau und furchtbar, ohne viel ökologischen Nutzen. In diesem Fall wurde von Beginn an anders gedacht. Jetzt können sich die dort Arbeitenden unter Pflanzen setzen, die großen Hallen können wir grün einkleiden. Es gibt einen Teich, ein gutes Restaurant – so wird auch der Mensch berücksichtigt. Diese Art Projekte finde ich superspannend. Zumal es von der Uni begleitet wird, die Studien über Ausgleichsflächen durchführt und beobachtet, welche Pflanzen und Tiere sich unter den besonderen Bedingungen ansiedeln.
Baumfavoriten für den Klimawandel
Haben Sie persönliche Favoriten unter den hitze- und trockenheitsstabileren Bäumen und Sträuchern?
Von Ehren: Ein Gehölz, das mir gut gefällt, ist Heptacodium miconioides oder auch Sieben-Söhne-des-Himmels-Strauch. Er hat einen spannenden Habitus, quasi ein großer mehrstämmiger Strauch, sehr robust, mit toller Borke und einer späten Blüte. So bietet er den Bienen im September noch Nahrung. Andere interessante Bäume sind der Zürgelbaum (Celtis australis), die Mehlbeere (Sorbus intermedia) oder der Eisenholzbaum (Parrotia persica).
Wir Baumschulen müssen das Storytelling machen. Wir müssen von den Stärken und Schwächen erzählen. Zum Glück gibt es viele pflanzenaffine Betriebe. Die Menschen können in die Baumschule kommen und Erkundungstouren unternehmen.
Viele haben heute kleinere Gärten als früher. Statt durchschnittlich 800 Quadratmeter sind es heute nur bis zu 300 Quadratmeter. Darauf sollten sich die Besitzer bei der Wahl ihrer Gehölze unbedingt einstellen.
Sie haben das Glück, die Botanik von klein auf gelernt zu haben. Wie hat Sie das geprägt?
Von Ehren: Ich bin in einer Baumschule groß geworden und empfinde daher sehr stark für Bäume. Das Wissen über diese tollen Lebewesen habe ich praktisch beim Aufwachsen mitbekommen. Für andere Menschen ist das Thema weit weg, sie können eine Buche nicht von einer Esche unterscheiden. Die Botanik ist so gigantisch, so vielfältig – es fällt viel leichter, wenn man das als Kind schon lernt.
Natürlich hatte ich zu einem gewissen Zeitpunkt meines Lebens andere Berufswünsche, so wollte ich immer Pilot werden. Nun habe ich einen glücklichen Kompromiss gefunden und lebe meine Flugbegeisterung privat aus.
Auf Ihrer Website ist der älteste Baum eine 200 Jahre alte Eibe. Dahinter steckt vermutlich auch Familiengeschichte. Genau wie bei den alten Obstbäumen: ein Apfel und eine Birne von 75 Jahren. Verbinden Sie mit diesen Bäumen andere Gefühle als sachliche Professionalität?
Von Ehren: Bei stolzen Exemplaren empfinde ich etwas Herzschmerz – aber in erster Linie bin ich Geschäftsmann und vor dem Hintergrund glücklich, wenn die Pflanzen einen guten neuen Standort mit bester Pflege bekommen.
Bernhard von Ehren
Betrieb: Baumschule Lorenz von Ehren
Alle Fotos: Baumschule Lorenz von Ehren
(Das Interview führte: Britta Freith)