Die Welt wird grüner: visionäre Stadtplanung heute umsetzen!
Interview mit Professor Rainer Schmidt, Landschaftsarchitekt und Stadtplaner

Futuristische Fassaden, viel Glas, Wege und Plätze, „Konsumtempel“ – aber relativ wenig Grün- und Freiraum: So sieht manches ausgezeichnete städtebauliche Projekt aus. Landschaftsarchitekt Professor Rainer Schmidt arbeitet an Projekten in der ganzen Welt. „Die Welt wird grüner: visionäre Stadtplanung heute umsetzen!“ lautete der Titel seines Vortrags auf dem 14. BGL-Verbandskongress 2021 in der BUGA-Stadt Erfurt – über Visionen für die lebenswerte Stadt von Morgen. Und er sprach darüber im Interview mit der Redaktion des GaLaBau-Blogs.

„Das Grün wird immer wichtiger im Wettbewerb der Städte um Touristinnen und Touristen – aber auch um Forschungseinrichtungen, neue Betriebsgründungen, innovative Arbeitskräfte.“

Stuttgarter Killesberg

Herr Professor Schmidt, Sie sagen: Die Welt wird grüner. Welche Bedeutung haben Grünflächen in unseren Städten?

Professor Schmidt: Die Bedeutung wächst gerade gewaltig. Wir dürfen ja wieder reisen, aber selbst da interessiert die Menschen, wo am Reiseziel schöne Grünanlagen oder historische Parks sind, das steht ganz vorn im Reiseführer. Das Grün wird immer wichtiger im Wettbewerb der Städte um Touristinnen und Touristen – aber auch um Forschungseinrichtungen, neue Betriebsgründungen, innovative Arbeitskräfte. Die Menschen wollen in einer tollen Stadt leben und arbeiten, mit einer Kultur des öffentlichen Raums, gepflegten Straßen, Plätzen und schönem öffentlichem Grün. Das ist das Gesicht einer Stadt und zugleich ihre Visitenkarte.

Grün stiftet Identität

Die Stadtbevölkerung hat sich verändert und sie hat andere Bedürfnisse. Früher war die Stadt geprägt von Industrie und den Fabrikarbeiterinnen und -arbeitern. Heute haben wir mehr „Wissensarbeiterinnen und -arbeiter“, die ganz andere Anforderungen an ihr Lebensumfeld stellen. Grün stiftet Identität – mit vielfältigen Aktivitätsfunktionen: Da wird der öffentliche Park zum Sportraum für Nordic Walking, Parcours und Ballspiele, ein Ort der Ruhe und Entspannung für Meditation oder Yoga, ein Treffpunkt mit Freundinnen, Freunde und Familie, zum Grillen und Picknicken.

Das bedeutet, städtisches Grün hat „Funktionen“, die neue Bedürfnisse erfüllen?

Professor Schmidt: Genau! Hier im öffentlichen Raum können sich Menschen wert- und hierarchiefrei begegnen. So wird ein Austausch über alle Schichten, Kulturen, Ethnien barrierefrei möglich.

Killesberg Park

„Mich rufen oft junge Familien an: ,Wir waren gerade wieder da, und das hat so viel Spaß gemacht!´“

Visionäre Parkanlagen zeigen, wie es gelingt: Zum Beispiel im Stuttgarter Höhenpark Killesberg, wo auf 20 Hektar der alte Park aus den 30er Jahren ausgebaut und erneuert wurde. Auf dem ehemaligen Messegelände entstand der erweiterte Park von heute. Der Ort war früher ein Steinbruch, die Landschaft wirkt wie herausgeschnitzt, mit tiefen Wegen. Eine schiefe Ebene mit „arationaler“ Wegführung und einem Gefälle von sechs Metern. Es gibt verschiedene Blickpunkte, exponierte und versteckte Stellen. Der Park ist gleichsam eine „Bühne“: Nebenan in der Konditorei sind Picknickkörbe buchbar, dann lasse ich mich nieder und der Hügel wird zum Beobachtungspunkt.

Unter dem Park wurde eine riesengroße Zisterne gebaute, sie wird für innovatives Wassermanagement genutzt: in wasserreichen Zeiten als Speicher, in wasserarmen Phasen zum Bewässern. Wilde Wiesen sind ein Teil des Parks – sie werden nur einmal jährlich gemäht, das dient der Artenvielfalt. Mich rufen oft junge Familien an: „Wir waren gerade wieder da, und das hat so viel Spaß gemacht!“ Die Stadt Stuttgart wirbt mit ihrem Park – ein echter Wettbewerbsvorteil vor anderen, konkurrierenden Orten.

Wasserflächen, Blauglöckchenbäume, alte Obstbaumsorten, – ein solcher Park macht Freude. Doch die Parks der Zukunft müssen auch produktiv sein …

Wassermanagement und Windräder im Stadtpark

„Die Parks der Zukunft müssen auch produktiv sein.“

Killesberg Park

Ein grüner Raum für Erholung und Regeneration, Freizeitvergnügen und Sportfläche, das erwarten wir heute schon von unseren Parks. Was muss denn eine „produktiver Park“ außerdem leisten?

Professor Schmidt: Ein zeitgemäßer Park ist produktiv, mit diesen Funktionen:

  1. Klimaverbesserung als grüne Frischluftschneise, durch Schattenwurf und CO2-Bindung.
  2. Wassermanagement in der Schwammstadt. So hält der Zukunftspark Wasser im Untergrund zurück, statt es in den Kanal oder Bach abzuleiten. Wasser versickert in diesem Park und wird sogar – für Dürrezeiten oder intelligente Bewässerung – gespeichert.
  3. Artenvielfalt: Grünflächen in den Städten fungieren immer stärker als Inseln der Biodiversität. Der Artenschutz ist also eine wichtige Funktion zukunftsfähiger Parkanlagen – und Naturerleben wird im Park möglich.
  4. Nachwachsende Rohstoffe: Kurzumtriebsplantagen oder Rasterbaumpflanzungen liefern nach 5 bis 10 Jahren eine geplante Holzernte. Große Felder mit Chinaschilfgras liefern nachwachsenden Rohstoff. Das macht immer wieder Fläche frei und Veränderung möglich. Aber man muss so eine Aufgabe auch gleich zu Beginn mit kommunizieren, damit die Menschen das verstehen.
  5. Energieproduktion, zum Beispiel in Form von Solaranlagen … warum nicht als Teil des Parks? Oder sogar Windräder – das ist hier in Deutschland noch eine Vision. Aber in China planen wir solche Parks schon.
  6. Mobilität: Das Grün nicht nur zum Flanieren nutzen, sondern auch als grüne Trasse, zum schnellen Transfer auch für E-Mobilität, -Golfcarts, -Räder … staufrei, entspannt und mit Zeitvorteil.

„Ein weiterer Trend in den Städten ist die „Walkability“: Das meint (…) breite, grüne Wege, viel Abstand zur Straße, Sitzgelegenheiten, Spielgeräte, Raum für Begegnung, interessant gestaltet …“

Sie reisen viel und realisieren Projekte in anderen Ländern. Wo sehen Sie jetzt die wichtigsten Trends der Städteplanung?

Professor Schmidt: China nimmt da viele Entwicklungen schon vorweg. Früher wurde in chinesischen Städten sehr dicht gebaut, es gab kaum Grün dazwischen, dafür aber riesengroße Spannung unter den Nachbarn. Heute müssen 20 Prozent der bebauten Fläche dort grün sein.

Das Bewusstsein für gesunden Lebensstil wächst in China: ökologische Parks, Urban Gardening, Naschgärten – das ist auch in China stark im Kommen, ähnlich wie bei uns.

Ein weiterer Trend in den Städten ist die „Walkability“: Das meint nicht die langweiligen, lauten, zugeparkten und verpesteten Gehwege die heute in den verkehrsverstopften Innenstädten so normal sind, sondern breite, grüne Wege, viel Abstand zur Straße, Sitzgelegenheiten, Spielgeräte, Raum für Begegnung, interessant gestaltet …

Was meinen Sie, wenn Sie von „Grün“ sprechen – bedeutet das mehr Natur?

Professor Schmidt: Natur in der Stadt ist ja gerade ein großes Thema – wie viel wollen wir wo haben? Ja, wir brauchen viel mehr Grün und auch mehr Natur um uns. Aber dort, wo sie hinpasst. Grün, das ist nicht gleichbedeutend mit naturnah. Grün bedeutet, Bäume zu pflanzen, die am besten heimisch, aber vor allem klimatolerant sind.

RSLA Große Moschee Algier

„Grün ist nicht gleichbedeutend mit naturnah.“

Je mehr wir in die Peripherie kommen, desto mehr Natur hat dort ihren Platz. Je näher zum Zentrum, je urbaner, desto stärker sollte Grün gestaltet sein. Viele ungepflegte, verwilderte Wiesenflächen mitten in der Stadt, wie ich sie gerade in Hamburg sehe? Das ist nicht attraktiv. Wir müssen für Natur die richtigen Orte aussuchen und sie dann auch beständig schützen.

In den letzten Wochen haben wir dramatisch erlebt, wie die Auswirkungen des Klimawandels Städte und Landschaften zerstören: Welche Lehren müssen wir jetzt zum Beispiel aus der Hochwasserkatastrophe im Juli für die dortige Stadtplanung ziehen?

Professor Schmidt: Der Klimawandel ist da – allerdings schon seit Jahrzehnten.

Meine Theorie: Das starke Ausräumen der Landschaft ist ein Grund für die heftigen Unwetterfolgen, wie Überschwemmungen. Viele Feldrandgehölze haben früher die Landschaft strukturiert, Wasser gebunden und zurückgehalten. Heute haben wir landwirtschaftliche Mono-Flächen, die das nicht mehr können. Die zukunftsfähige Stadt ist deshalb die Schwammstadt. Hier gibt es Versickerungschancen für Oberflächenwasser, Retensionsmulden, um Wasser zurückzuhalten, Anger und Feuerteiche an Tiefpunkten, also wieder mehr Muldenlandschaften. Auf dem Land brauchen wir wieder stärker große und kleine grüne Zwischenräumen und Feldraine – auch für die Artenvielfalt.

„Wir verlieren gerade die Kultur aus dem Auge.“

RSLA Große Moschee Algier

Was erwarten Sie von der neuen Bundesregierung, damit diese Visionen Wirklichkeit werden?

Professor Schmidt: Aktuell sehen wir einen starken Trend in Richtung mehr Ökologie in der Stadt, da wird viel gefördert und das ist auch eine positive Entwicklung.

Aber wir brauchen auch mehr Förderung von Projekten, die Städte und öffentlichen Freiraum als Kulturgut gestalten, erhalten und pflegen. Sehen Sie, wenn historische Anlagen rekonstruiert werden, wie aktuell gerade das Humboldt-Forum in Berlin, dann kommen die Gartenkunst und der Denkmalschutz leider dabei oft zu kurz.

RSLA Rainer Schmidt Universität

„Alles was wir gerade tun, ist für morgen. Wir planen jetzt die nächsten 20 Jahre (…).“

Alles was wir gerade tun, ist für morgen. Wir planen jetzt die nächsten 20 Jahre und meine Sorge ist: Wir verlieren gerade die Kultur aus dem Auge. Das kultivierte Grün hat aber seinen Stellenwert – in skandinavischen Ländern wird das besser gemacht. Da entstehen neue, zeitgemäße Landschafts- und Gartenkulturen in den Stadtzentren und im Umfeld dann mehr Natur. Dort gibt es zahlreiche Beispiele: ein Parkhaus mit attraktiven Wohnungen darüber, eine Müllverbrennung mit einer Abfahrtsskianlage oder eine Fußgängerzone mit wilden, farbigen Asphaltmustern – alles in Kopenhagen; schiefe Holzterrassen um die neue Osloer Oper. Starke Architektur gestaltet unsere Räume und Raumkanten mit innovativen Ideen, spannt Freiraum auf.

Smarte, grüne Vision: Stadtnutzung als Service

Dazu passt auch die Vision der Smart City: Dort ist alles digital gesteuert – Dünger, Bewässerung, Abfallmanagement … in China wird das gerade Wirklichkeit. Dann gibt der Bewohner der neuen Stadt ins Handy ein: Vater (40) und Sohn (15) haben zwei Stunden freie Zeit. Was können sie jetzt (hier in der Nähe) sinnvoll, erholsam, sportlich tun?! Stadtnutzung als Service: So eine Stadt steuert sich auch selbst, inklusive Flächen-Pflegemanagement, Energie, Beleuchtung, Verkehrsmanagement. Das ist die Zukunft.

Professor Rainer Schmidt: visionärer Landschaftsarchitekt

Professor Rainer Schmidt stammt aus dem Ruhrgebiet: Geboren in Gelsenkirchen, wuchs er in Köln auf und lebt heute in München. Sein Unternehmen Rainer Schmidt Landschaftsarchitekten und Stadtplaner betreut von München und Berlin aus Städtebauprojekte weltweit. Für viele erhielt er Auszeichnungen, zum Beispiel den Amerikanischen Architekturpreis Urban Design (2017) und den Amerikanischen Architekturpreis in Silber (2016) für den Park Killesberg in Stuttgart. Rainer Schmidt lehrte 30 Jahre Landschaftsarchitektur an der Beuth Hochschule für Technik in Berlin und ist Fachautor.

Carsten Peters2023-12-22T10:38:04+01:00
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